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Reckless - Lebendige Schatten

Reckless - Lebendige Schatten

Titel: Reckless - Lebendige Schatten
Autoren: C Funke
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wunderte sich, dass sein Zauber immer noch wirkte.
    »Wo sind wir?«, flüsterte Fuchs.
    Ja, wo?
    Es war so dunkel um sie herum, dass Jacob kaum die eigenen Hände vor Augen sah. Er stolperte über ein Kabel, und als er nach Halt suchte, griff seine Hand in schweren Samt.
    »Kto tu jest?«
    Der Scheinwerfer, der über ihnen aufflammte, war so grell, dass Fuchs die Hände vor die Augen presste. Die Scherben des Spiegels zersplitterten unter ihren Stiefeln, als sie zurückwich und sich in einem schwarzen Vorhang verfing. Jacob fasste nach ihrem Arm und zog sie an seine Seite.
    Eine Bühne. Ein Tisch, eine Lampe, zwei Stühle, und zwischen ihnen der Spiegel. Eine Requisite. Nichts weiter. Wie war er hierhergekommen? Verbarg er sich schon seit Jahren zwischen verstaubten Theaterrequisiten … Hatte ihn jemand benutzt, seit Guismund mit seinen Rittern hindurchgegangen war, oder hatte er sein Geheimnis seither bewahrt? Wie war der Hexenschlächter in seinen Besitz gekommen? So viele Fragen. Dieselben, die Jacob sich zahllose Male über den anderen Spiegel gestellt hatte. Wo kamen sie her? Wie viele gab es? Und wer hatte sie gemacht? Er hatte lange nach den Antworten gesucht, aber alles, was er als Hinweis hatte, war das Blatt Papier, das er in einem Buch seines Vaters gefunden hatte.
    Es flammten zwei weitere Scheinwerfer auf. Rote Sitzreihen verloren sich in der Dunkelheit. Es war ein großes Theater.
    »Rozbiliscie Lustro!« Der Mann, der auf sie zustolperte, blieb entgeistert stehen, als er den blutigen Mottenfleck auf Jacobs Hemd sah.
    Jacob schob die Hand in die Tasche, während er dem Mann sein freundlichstes Lächeln schenkte.
    »Przykro mi. Zapłacę za nie.« Für viel mehr reichte sein Polnisch nicht. Falls es Polnisch war, was er hörte. Jacob hatte vor ein paar Jahren Geschäfte mit einem Antiquitätenhändler aus Warschau gemacht, aber das war lange her.
    Zum Glück hatte er noch einen halbwegs ansehnlichen Taler bei sich, aber der Mann starrte die Münze so misstrauisch an, als hätte Jacob ihn mit Bühnengeld bezahlt.
    Mach, dass du hier rauskommst, Jacob.
    Er griff nach Fuchs’ Hand und zog sie auf die Bühnentreppe zu. Er fühlte sich immer noch wie neugeboren.
    Garderoben. Eine weite Treppe. Ein dunkles Foyer und eine Reihe verglaster Eingangstüren. Jacob fand eine, die unverschlossen war. Die Luft, die ihnen entgegendrang, war durchsetzt mit den Gerüchen und Geräuschen seiner Welt.
    Fuchs blickte ungläubig auf die vierspurige Straße, die vor ihnen lag. Die Laternen, die sie beleuchteten, waren so viel greller als in ihrer Welt. Ein Auto fuhr vorbei. Ampeln färbten den Asphalt rot und auf der anderen Straßenseite erhob sich ein Hochhaus in den Nachthimmel.
    Jacob nahm Fuchs den Täuschbeutel und zog sie an sich.
    »Wir gehen bald zurück«, flüsterte er ihr zu. »Ich verspreche es. Ich will nur nach Will sehen und ein gutes Versteck für die Armbrust finden.«
    Sie nickte und schlang die Arme um ihn.
    Es war vorbei.
    Und es war alles gut.

68
DIE ROTE
    J acob lebte.
    Die Motte war fort und er lebte.
    Wie?
    Die Rote Fee schrie ihre Wut über das Wasser, das sie geboren hatte.
    Es gab nichts, was den schlimmsten Fluch der Feen brach. Er brachte jedem Sterblichen den Tod. Löschte sie aus, als hätte es sie nie gegeben. Nichts sonst würde ihr Frieden bringen. Sie wollte, dass die einzige Erinnerung, die ihr an ihn blieb, sein Sterben war.
    Aber er lebte.
    Der See wurde schwarz wie der Nachthimmel, und das Wasser zeigte ihr die Waffe, die den Fluch ihrer Schwester gebrochen hatte. So mühelos wie einen morschen Zweig.
    Die Rote wich zurück.
    Das Erlenholz.
    Die Sehne aus biegsamem Glas.
    Das eingefräste Muster auf dem vergoldeten Schaft.
    Nein.
    Sie waren fort. Seit langer, langer Zeit.
    Alle.
    Gebannt in die Bäume, die ihnen ihren Namen gaben. Nicht einer war entkommen.
    Die Rote wollte sich umwenden, aber zwischen den Lilien trieb etwas auf dem Wasser. Sie kniete sich ans Ufer und streckte die Hand danach aus.
    Es war eine Karte.
    An ihrem weißen Papier haftete ein welkes Blatt. Die Fee zog die Hand erschrocken zurück.
    Der Winter war erst einmal auf ihre Insel gekommen.
    Nein.
    Sie waren fort.
    Alle.

Cornelia Funke ist die international erfolgreichste und bekannteste deutsche Kinderbuchautorin. Heute lebt sie in Los Angeles, Kalifornien, doch ihre Karriere als Autorin und Illustratorin begann in Hamburg. Nach einer Ausbildung zur Diplom-Pädagogin und einem anschließenden Grafik-Studium
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