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RECKLESS HEARTS

RECKLESS HEARTS

Titel: RECKLESS HEARTS
Autoren: Eileen Janket
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hatte die quietschvergnügte Selin kichernd geantwortet und ihrer etwas ratlosen Mutter einen dicken Kuss auf die Wange gedrückt. Dann hatte sie die ‚Nirvana‘-CD eingelegt und zu »Smells like Teen Spirit« wild auf ihrem Bett herumgehüpft und ihre langen Haare in der Luft kreisen lassen. Ihre Mutter hatte schallend lachend in die Hände geklatscht und sie liebevoll »Mein verrücktes Mädchen« genannt.
    Und dann war da noch - für immer unvergesslich - ihre furchtbar geheime, unfassbar sehnsuchtsvolle, einzigartige, große Liebe, von der keine einzige ihrer Freundinnen und nicht einmal ihre Mutter wissen durften, von der einfach niemand wissen durfte, keine Seele auf der ganzen, weiten Welt, so ernst war es ihr damit, so tief saß das Gefühl, so sehr gehörte er nur ihr allein und so peinlich war es ihr auch, ach! Und ja, das streng geheime, wie ihr Augapfel gehütete Fotoalbum, mit all den wunderschönen Bildern von ihm, sicher versteckt, jahrelang, besonders vor Sabri, bis sie es eines Tages … tja …
    Selin durchfuhr ein warmer, sentimentaler Erinnerungsschauer, ihre Augen brannten, sie seufzte gedankenverloren und holte schnell tief Luft. Würde sie je wieder so lieben, so rein und unschuldig wie damals?
    Er war ihr Engel! Paddy! Pschscht, nicht so laut, Selin ... Seine Haare waren sogar länger als ihre gewesen. Was war nur passiert? Viel … so viel ... 1994 ... Cobain ballerte sich in drogengeladener Tiefstimmung die Birne weg, und Selins lebenskluge und beste Mutter der Welt erlag exakt zwei Tage darauf einem Hirnschlag aus dem Nichts und strich ihr nie wieder zärtlich über die Haare.
    Als Selin glaubte, vor Trauer ersticken zu müssen und nicht imstande war, auch nur eine Träne zu weinen, schrieb Paddy einen Song - nur für sie -, damit sie den Wahnsinn aushielt: »Sometimes I wish I were an Angel ...«
    Jede Nacht hörte sie ihn rauf und runter, unter ihrer Decke, in der sicheren, einsamen Dunkelheit, die sie nur dort fand, und irgendwann kamen die Tränen wie ein unaufhaltsamer Monsunregen … und brachten so viel Trost mit, dass Selin sich mit ihren fast dreizehn Jahren selber das Versprechen gab, einfach weiter zu leben, komme, was wolle …
    Und Selins Vater - ein einziges Häufchen Elend -, der sich aus allen Erziehungsfragen bisher stets herausgehalten hatte, fand sich mit einem Mal in der unbegreiflichen Rolle eines alleinerziehenden, türkischen Witwers mittleren Alters wieder. Selin war sein einziges Kind, ein Teenager an der Schwelle zur jungen Frau. Die Verantwortung für ihre anständige Erziehung lag nun zentnerschwer auf seinen schmalen, abgearbeiteten Schultern. Der immense Druck der Verwandtschaft, die schon seine eigensinnige Heirat mit der fremden, viel zu selbstsicher auftretenden Meltem nicht hatte verhindern können, war nun, im Deckmantel der Fürsorglichkeit, umso vehementer.
    Und so wurde Selin keine zwei Jahre später mit ihrem Cousin Sabri verlobt, der bis dato laut Sippschaft »sich nur kopflos herumgetrieben und mit deutschen Mädels sündhaft vergnügt« hatte und nun endlich »sittsam werden und eine Familie gründen« sollte. Dabei hatte der sechs Jahre ältere Sabri noch nicht einmal seine »Unschuld« verloren, was aber um Gottes willen niemand wissen durfte.
    Die Verlobung im engsten Verwandtenkreis zog an Selin vorüber wie ein unwirklicher Wachtraum mit bizarren Momenten, die sie nicht begreifen, nicht festhalten konnte: Der dicke Sabri in seinem glänzenden, grauen Anzug, der viel zu eng saß und ihn wie Oliver Hardy von Dick und Doof aussehen ließ, dann diese vielen Tanten, die Selin Kleider an - und auszogen und ihr junges Gesicht übertrieben grell schminkten, in der unbegreiflichen Absicht, sie wie eine reife Frau aussehen zu lassen - die Wangen und Lippen viel zu rot, die Augenlider viel zu bunt - und dabei lachten und Lieder sangen, Lieder, die sie nicht kannte, und … all diese Kinder, ein Haufen Kinder, die herumwuselten und nervtötend laut kreischten … und ab und zu das eingefallene Gesicht ihres Vaters, das sofort aus ihrem Blickfeld verschwand, sobald sie es mit Mühe ausfindig gemacht hatte.
    Nicht dass sie so gar nicht protestiert hätte: »Baba! Ich kann Sabri nicht ausstehen! Er ist so … so fett und redet nur dummes Zeug.« Aber zu tief saß der Schock über den Verlust ihrer geliebten Mutter, ihrem Netz und doppelten Boden, zu benommen und gelähmt gegenüber der gnadenlos besitzergreifenden Verwandtschaft ihres Vaters war sie … und
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