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Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht

Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht

Titel: Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
Autoren: Asa Larsson
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Finger sind krumm wie Krallen.
    Ein schweres Dröhnen, ein Poltern vor der Tür. Sie kneift die Augen zusammen. Tränen fließen ihr über das Gesicht. Sie will sich die Ohren zuhalten, aber ihre Hände gehorchen ihr nicht, sie zittern und zittern nur.
    »Mama«, weint sie, als die Tür krachend aufgerissen wird. Die Tür trifft ihr Knie. Das tut weh. Jemand packt ihre Jacke und zieht sie hoch. Sie weigert sich, die Augen aufzumachen.
    Er zieht sie am Kragen hoch. Sie jammert.
    »Mama, Mama!«
    Er hört sich selbst fiepen. Äiti, äiti! Es ist über sechzig Jahre her, und sein Vater schleudert die Mutter wie einen Handschuh durch die Küche. Sie hat Lars-Gunnar und seine Geschwister in die Kammer eingeschlossen. Er ist der Älteste. Die kleinen Mädchen sitzen bleich und stumm auf dem Sofa. Der jüngere Bruder und er selbst hämmern an die Tür. Sie hören die Mutter weinen und flehen. Gegenstände fallen zu Boden. Der Vater hat den Schlüssel. Bald werden auch die Jungen an die Reihe kommen, während die Mädchen zusehen müssen. Dann wird die Mutter in der Kammer eingeschlossen sein. Der Gürtel wird zulangen. Aus irgendeinem Grund. Er weiß nicht mehr, aus welchem. Es gab immer so viele.
    Er schlägt ihren Kopf gegen das Waschbecken. Sie verstummt. Kinderweinen und das »Älä lyö! Älä lyö!« seiner Mutter in seinem Kopf verstummen ebenfalls. Sie fällt auf den Boden.
    Als er sie umdreht, sieht sie ihn aus großen stummen Augen an. Von ihrer Stirn fließt Blut. Wie bei dem Ren, das er auf dem Weg nach Gällivare angefahren hat. Derselbe Blick aus großen Augen. Und das Zittern.
    Er packt ihre Füße. Schleppt sie zum Treppenabsatz.
    Teddy steht auf der Treppe. Er entdeckt Rebecka.
    »Was?«, ruft er.
    Ein lauter, besorgter Ausruf. Wie ein verängstigtes großes Tier.
    »Was?«
    »Keine Sorge, Teddy«, ruft Lars-Gunnar. »Raus mit dir!«
    Aber Teddy hat jetzt Angst. Gehorcht nicht. Macht einige Schritte die Treppe hoch. Schaut die liegende Rebecka an. Ruft wieder »was?«.
    »Hörst du nicht«, brüllt Lars-Gunnar. »Raus mit dir!«
    Er lässt Rebeckas Füße los und droht Teddy mit der Hand. Am Ende läuft er die Treppe hinunter und scheucht Teddy hinaus auf den Hof. Er schließt die Tür ab.
    Teddy steht draußen. Er hört ihn rufen. »Was? Was?« Mit Angst und Verwirrung in der Stimme. Sieht vor sich, wie Teddy ratlos von einem Fuß auf den anderen tritt.
    Er empfindet einen entsetzlichen Zorn auf die Frau da oben im Haus. Sie ist an allem schuld. Sie hätte sie in Ruhe lassen sollen.
    Mit drei Sprüngen jagt er die Treppe hoch. Das ist wie bei Mildred Nilsson. Die hätte ihn in Ruhe lassen sollen. Ihn und Teddy und diesen Ort hier.
    Lars-Gunnar steht draußen auf dem Hofplatz und hängt Wäsche auf. Es ist Ende Mai. Noch keine Blätter, aber grüne Spitzen in den Beeten. Es ist ein sonniger, windiger Tag. Teddy wird im Herbst dreizehn. Eva ist seit sechs Jahren tot.
    Teddy springt auf dem Hof hin und her. Er kann sich immer auf irgendeine Weise beschäftigen. Aber man ist eben nie allein. Das fehlt Lars-Gunnar. Ab und zu seine Ruhe zu haben.
    Der Frühlingswind zieht und zerrt an der Wäsche. Bald hängen Laken und Unterwäsche wie eine Reihe von tanzenden Fahnen zwischen den Birken auf dem Hofplatz.
    Hinter Lars-Gunnar steht die neue Pastorin Mildred Nilsson. Die kann ja vielleicht reden. Das scheint nie ein Ende zu nehmen. Lars-Gunnar zögert, ehe er zu den leicht löchrigen Unterhosen greift. Ganz weiß sind sie auch nicht mehr, aber immerhin sauber.
    Aber dann denkt er Scheiße, wieso? Warum soll er sich vor ihr schämen?
    Sie will Teddy konfirmieren.
    »Du«, sagt er. »Vor zwei Jahren waren solche Hallelujamenschen hier und wollten für seine Heilung beten. Die hab ich vor die Tür gesetzt. Ich hab für die Kirche nicht so viel übrig.«
    »Das würde ich nie tun«, sagt sie nachdrücklich. »Ja, also, natürlich werde ich für ihn beten, aber ich verspreche, das ganz leise und nur in meinem stillen Kämmerlein zu machen. Aber ich würde ihn mir niemals anders wünschen. Du bist wirklich mit einem feinen Jungen gesegnet worden. Besser könnte er doch gar nicht sein.«

REBECKA ZIEHT DIE KNIE AN. Streckt sie aus. Zieht sie an. Streckt sie aus. Kämpft sich zurück in die Toilette. Kann nicht aufstehen. Kriecht so tief in eine Ecke, wie sie nur kann. Jetzt kommt er wieder die Treppe hoch.
    Mildred hatte ja gut reden, dass Teddy ein Segen ist, denkt Lars-Gunnar. Sie brauchte ja nicht dauernd auf ihn
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