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Readwulf

Readwulf

Titel: Readwulf
Autoren: Sofi Mart
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Galt nicht das alte Sprichwort: Auge um Auge, Zahn um Zahn? Hatten sie nicht alle den Tod verdient? Schließlich war es bisher weder der Polizei noch den Gerichten gelungen, ihnen die Taten offiziell nachzuweisen.
    Diesmal war der Inhalt des Umschlages spärlich: Nur ein Foto, keine Akte?
    Intuitiv drehte Readwulf das Bild um. Auf der Rückseite fand er lediglich eine Londoner Adresse. Der darüber liegende rot durchgestrichene Kreis war das vereinbarte Zeichen. In der Ausführung gewährte Darius ihm freie Hand. Anfangs hatten die Zielpersonen entweder einen tragischen Autounfall oder erlagen den Folgen eines unglücklichen Sturzes. Mit der Zeit wurde Readwulf kreativer. Ein paar Mal kam ihm das hohe Alter seiner Opfer oder deren allergische Reaktionen zugute.
    Nachdem er das Papier erneut umdrehte, betrachtete er die vermeintliche Verbrecherin intensiver. Jemand hatte sie schräg von unten geknipst, als Bewerbungsfoto würde man es sicher nicht verwenden können. Zudem stand sie hinter einer leicht spiegelnden Fensterscheibe. Readwulf schätze sie auf Anfang zwanzig. Die blond gelockten Haare fielen über schmale Schultern. Das Gesicht war unscharf, doch sah sie für ihn eher wie ein Engel als der Teufel aus. Er schüttelte den Kopf und legte das Bild auf den antiken Sekretär. Er hatte genug von diesem Tag. Auch wenn solche Aufträge seit Jahren zu seinem Leben gehörten, ans Töten gewöhnte er sich nie. Die anschließende heiße Dusche tat ihm gut und einen Minibar-Whisky später sank er müde in die schneeweißen Hotellaken.

    ***
    Mein Wecker klingelte um sechs Uhr, doch sofort aufstehen - keine Chance! Seit Monaten fühlte ich mich morgens wie erschlagen, als würde ich Nacht für Nacht einen Marathon laufen.
    Zweimal drückte ich die Schlummertaste, bevor ich mich gegen halb sieben widerwillig aus meinem Bett quälte. Der Weg ins Bad führte am Zimmer meiner neuen Mitbewohnerin Cloé vorbei. Sie wohnte nur bei mir, weil ich für die Miete der Wohnung in einem Londoner Vorort nicht länger allein aufkommen konnte. Cloé Winter war die Einzige, die sich auf meine Anzeige vom schwarzen Brett im Imperial College London gemeldet hatte. Ihr übermäßiger Duftwassergebrauch folterte meine feinen Geruchsnerven bereits drei Wochen lang. Mir blieb jedoch keine andere Wahl, als es zu ertragen - vorerst zumindest.
    Mein Badezimmer entschädigte für alles, Natursteinkacheln und dazu ein klassischer Mosaikfußboden. Der gemauerte Waschtisch wurde von einem runden Designer Waschbecken gekrönt. Ich nahm die elektrische Zahnbürste aus der Ladestation und stellte ihre Automatik auf fünf Minuten. Gedankenversunken blickte ich in den Spiegel.
    »Oh bitte!«, zischte ich beim Anblick meiner mal wieder völlig zerzausten Haare. Der Schaum der Zahnpasta landete dabei unausweichlich auf dem Spiegel. Dieses `Kunststück´ beherrschte ich nahezu täglich und es brachte meine beschaumten Lippen zum Lächeln.
    Die Fußbodenheizung war angenehm, aber unnötig. Ich hatte nie kalte Füße wegen meiner permanent erhöhten Körpertemperatur. Die konstanten 42 Grad hätten jedem anderen Menschen sicher schwer zugesetzt oder ihn unter bestimmten Umständen womöglich getötet. Ich jedoch war bereits seit meiner Geburt so unerklärlich heiß. Die Schneidezähne fest aufeinander gepresst, putze ich fleißig weiter. Das Wasser ließ ich währenddessen laufen. Verschwendung war eine dumme Angewohnheit, das wusste ich, aber irgendwie beruhigte mich dieses Geräusch.
    Das Piepsen der Zahnbürste, die sofort danach den Dienst einstellte, beendete mein allmorgendliches Zahnpasta-Scharmützel. Gut so, denn ich musste pünktlich sein. Unbedingt! Schließlich hatte ich nicht umsonst über ein halbes Jahr auf diese Chance hingearbeitet.
    Miss Miller, die gute Seele unserer Fakultätsbibliothek, war mir in den letzten Monaten sehr lieb geworden. Sie hielt mir stets den kleinen Tisch in der einzigen Nische des Lesesaals frei. Manchmal kam mir schon der Gedanke , dass die Bibliothek mein zweites Zuhause sei.
    Viele Tage und Nächte hatte ich dort verbracht, die zahlreichen Stunden im Labor nicht eingerechnet. Und nun, an diesem Vormittag, musste ich mich beweisen. Mein Leben würde endlich eine konkrete Richtung erhalten und ich würde meine Zukunft wenigstens ein Stück mitbestimmen können.
    Prof. Barclay Stonehaven, ich glaubte, er sei schottischer Abstammung, hatte mich für die ausgeschriebene Forschungsstelle in der Rechtsmedizin vorgeschlagen.
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