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Raumkapitän Sun Tarin

Raumkapitän Sun Tarin

Titel: Raumkapitän Sun Tarin
Autoren: Alfred Bekker
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Augen beinahe, sodass ich schon befürchtete, der Stellvertreter Gottes würde einschlafen oder gar genau in dem Augenblick sterben, in dem ich meine Ehrung empfing.
    Ich bemerkte das winzige Mikrofon am Schnabel. Zwischen ihm und einem ebenso winzigen Lautsprecher, der an der Ohröffnung des Priesters zur Linken befestigt war, bestand vermutlich eine drahtlose Verbindung. Die krächzenden Laute, die sich dem Schnabel des Raisa entrangen, waren nicht zu verstehen.
    Der Priester sprach stattdessen für ihn.
    Es handelte sich nicht um einen Würdenträger der Priesterschaft, sondern um einen einfachen, niederen Priester, wie an seinem Gewand zu erkennen war. Ein Symbol der Einfachheit und Bescheidenheit des Raisa, so konnte man das interpretieren. Aber sicherlich auch das Bestreben, sich die Unabhängigkeit sowohl von der Priesterschaft als auch von den Tanjaj zu erhalten.
    In dem Zustand, in dem sich der Raisa befand, war das ein Unterfangen, das fast unmöglich erschien.
    »Der Raisa ehrt deinen Einsatz für den Glauben und den Aufbau der Göttlichen Ordnung, Sun-Tarin, Sohn und Enkel von Sun-Tarin. Und er erinnert sich daran, dass er diese Ehrungen einst auch deinem Vater und deinem Großvater zuteilwerden ließ und ihnen ebenso wie dir den Stein des Ersten Raisa verlieh …«
    In diesem Moment stürzte einer der anderen, die neben mir auf ihre Ehrung warteten, nach vorn. Ein Kridan, dessen Alter ich auf etwa sechzig oder siebzig schätzte { * } , machte einen Ausfallschritt und riss den Zierdolch aus dem Gürtel. In so manch konservativer Familie wird ein solcher Zierdolch über Generationen vom Vater auf den Sohn vererbt – oft als Ausgleich dafür, dass unter den Küken eines Kridan jeweils nur einer von mehreren Eibrüdern den Namen erben kann. Zierdolchträger sind also meistens nicht die Erben des Vatersnamens. Mein Onkel, den ich im Verlauf dieser Aufzeichnungen bereits mehrfach erwähnte, gehört zu ihnen.
    Einen Zierdolch zu tragen, ist selbst im Palast des Raisa gestattet. Und wer hätte schon einem verdienten Veteran dieses Zeichen seiner Familienehre wegnehmen mögen, wenn er dem ehrenhaftesten Moment seines Lebens entgegensieht? Diese Grausamkeit hätte nicht einmal der Geheimdienst fertiggebracht.
    Wenn es so etwas wie einen perfekten Attentäter gab, dann war es zweifellos dieser Tanjaj, dessen Namen ich nie erfahren habe.
    Die leicht gebogene Klinge des Dolchs blitzte auf. Sie fuhr dem Körper des regungslosen Raisa entgegen. Der Priester an seiner Seite stand wie erstarrt da – fassungslos über das, was sich vor seinen Augen abspielte.
    Vieles vermag sich ein Kridan vorzustellen.
    Die Tatsache, dass wir das auserwählte Volk Gottes sind, heißt nicht, dass wir frei von Niedertracht wären.
    Aber dennoch ist es nahezu unvorstellbar, dass ein Kridan den Raisa zu töten versucht. Es sei denn, er wäre ein Ketzer der verworfensten Art.
    Ehe das Metall sich in den Körper des Raisa bohren konnte, sprang ich auf den Attentäter zu. Meine Krallenhände packten ihn. Ich riss ihn im letzten Moment von seinem Opfer fort, und ehe er in der Lage war, mit seinem Dolch oder den ihm von Gott gegebenen körpereigenen Waffen zu schaden, stieß ich ihm den Schnabel links neben dem Brustbein in den Leib.
     
     
    Wie ich schon erwähnte: Ich erfuhr nie den Namen des Attentäters. Niemand erfuhr ihn, denn im Mediennetz des Imperiums wurde der Vorfall nicht erwähnt. Ich kann mir auch vorstellen, weshalb.
    Man wollte den Ketzern keine Ermutigung geben.
    [Inzwischen bin ich im Zweifel darüber, ob es sich wirklich um eine Verschwörung von Ketzern gehandelt hat. Die Ursprünge der Bewegung des Predigers Satren-Nor zum Beispiel liegen im Dunkeln, ich nehme aber an, dass er damals schon aktiv war. Und selbstverständlich war das Erstarken einer Bewegung, die jemanden wie den Prediger an die Spitze des Imperiums brachte, nur in einer Zeit des Interregnums denkbar. Das wiederum ließ sich am schnellsten durch ein Attentat herbeiführen, wenn man nicht auf die voranschreitende Altersschwäche des Amtsinhabers setzen wollte.
    Aber hatten nicht vielleicht auch andere ein Interesse daran, ein Interregnum herbeizuführen? Der Raisa hatte ein ungewöhnlich langes Leben hinter sich – für das Imperium bedeutete dies eine ungewöhnlich lange Phase ununterbrochenen Krieges. Aber in Phasen des Krieges wächst die Macht des Mar-Tanjaj, und die der Priesterschaft geht zurück.
    Wem hätte also der Tod des Raisa genützt?
    Der
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