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Raubzug mit dem Bumerang

Raubzug mit dem Bumerang

Titel: Raubzug mit dem Bumerang
Autoren: Stefan Wolf
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Schüler rauchten.
    Klößchen schielte auf Tims
Blatt. Klar, dass der TKKG-Häuptling seinen Freund abschreiben ließ —
allerdings immer nur so viel, dass es zu einer Drei oder Vier reichte. Alles
Bessere wäre unglaubwürdig gewesen. Tim spürte, daß er heute nicht konzentriert
war, aber er riss sich zusammen. Und war, wie sehr oft, als Erster fertig.
Indes — er gab seine drei Blätter noch nicht ab. Zum einen, weil Klößchen mit
dem Spicken hinterher hing. Zum anderen, um seine Ergebnisse zu überprüfen.
Siebenmal — da war er sicher — hatte er volle Punktzahl erreicht. Aber das
achte Ergebnis war grotesk, konnte nicht stimmen, sah aus, als hätte er
unterwegs versehentlich mit 10 000 multipliziert.

    Tim schrieb an den Rand: Ist
natürlich falsch. Leider bin ich gedanklich auf Pirsch — und belasse es
dabei. Mathematik ist großartig, doch im Leben geht es oft nach anderen Regeln.
    Am folgenden Dienstag — bei
Rückgabe der Arbeit — würde das von der Tangente als ziemlich frecher Kommentar
bezeichnet werden, der sie aber nicht davon abhielt, die Arbeit mit einer
Zwei-Plus zu benoten.

4. Pistolenkugel im alten Grab
     
    Es wurde heiß an diesem
Vormittag und Hitze bekam Ronald nicht gut. Früher — in jungen und mittleren
Jahren — hatte es ihm nichts ausgemacht und er hatte nur abschätzig gegrinst
über jene, die übers Wetter klagten, über Hitze, Kälte, Regen, Nebel oder
Schnee. Er war am Amazonas gewesen als Tourist und er war drei Wochen mit dem
Motorrad durch die Sahara gefahren. Kein Problem. Aber jetzt, mit 74, gab es
kaum noch ein Wetter, bei dem er sich wohl fühlte.
    Dennoch — es gab was zu
erledigen. Und wenn er etwas als wichtig einstufte, ließ er keine
Entschuldigung zu und war hart gegen sich selbst.
    Ronald Zaunig war ein schlanker,
schmaler, ledergesichtiger Oldie. Er kleidete sich gediegen, sah immer aus, als
käme er gerade von seinem Anwalt oder aus einer Versammlung grimmiger
Aktionäre. Den ebenholz-schwarzen Spazierstock, ohne den er nie ausging, hatte
er seinem Nachbarn abgeluchst, dem alten Hubert Mierling. Natürlich nicht gegen
Geld, sondern im Tausch gegen eine Reiterpistole von 1755, an der zwei
Schrauben fehlten und ein Stück vom Griff.
    Ronald blickte in die gleißende
Vormittagsonne und rückte an seiner Krawatte. Er hatte sich rechtzeitig bemüht
um die Information. Er kannte den Termin und kam also an diesem
Freitagvormittag im Juni auf den Westfriedhof, kurz nach zehn Uhr.
    Das Grab befand sich im
hinteren Teil, ziemlich dicht an der Mauer. Goldene Lettern im schwarzen Stein
verkündeten, das hier Dr. med. Burghart Brendl ruhte: 1.10.33-20.11.73.
    Nur 40 Jahre war er alt
geworden, der Dreckskerl. Fast verwundert stellte Ronald fest, dass er ihn
immer noch hasste.
    Der Totengräber — ein junger
Mann mit südlichem Teint — benutzte einen Mini-Bagger. Erde und Lehm türmten
sich neben dem Grab. Es wurde zurückverwandelt in eine Grube. Nur der Grabstein
stand noch an seinem Platz. Ronald verharrte und stützte sich auf seinen Stock.
    „Das Grab wird aufgelassen, ja?
Ich meine: neu belegt.“ Branko nickte und schaltete den Bagger aus. Es war Zeit
für einen Schluck aus der Bierflasche.
    „Wird aufgelassen. Miete zu
Ende. Niemand da, der nun bezahlt. Bezahlt für Toten. Für Skelett. Miete kann
verlängert werden. Aber nur gegen Bezahlung.“
    Ronald nickte. „Ich kannte Dr.
Brendl.“
    „Aber nicht für ihn zahlen?“
    „So gut kannte ich ihn nicht.“
    „Nicht Freund von Sie?“
    „Hm. Naja.“ Ronald zog das
seidene Einstecktuch aus der Brusttasche und tupfte sich über die Stirn.
    Erst zehn Uhr und schon so
heiß.
    Hinter dem Grab standen
schlanke Lebensbäume Spalier, grenzten ab zu einem schmalen Kiesweg. Dort war
jemand. Schemenhaft gewahrte Ronald eine große Gestalt, einen Mann mit
Schirmmütze. Offenbar in Arbeitskleidung. Jetzt bewegte er sich und schob eine
Schubkarre drei Schritte weiter. Anscheinend ein Friedhofsgärtner. Ronald
achtete nicht weiter auf ihn.
    „Auch für Freund“, sagte
Branko, „ich nicht würde zahlen — nach 30 Jahren. Wozu? Ein Toter ist tot. Ihm
egal.“ Ronald nickte, was aber keine Zustimmung war.
    Branko breitete eine Plane aus
und stieg in die Grube, um zu bergen, was die Vergänglichkeit gelassen hatte
von Brendl und seinem Sarg: Schädel, Skelettreste, Holzteile.
    Pietätvolles ( respektvolles )
Vorgehen. Musste sein. Denn der alte Mann dort oben sah zu. Hau ab!, dachte
Branko. Dann kann ich schneller
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