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Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Autoren: Klaus Erfmeyer
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wohl nicht würde helfen können – und der es dennoch schaffte, Stephan in seinen Bann zu ziehen, so, wie es ihm vor etwa sechs Jahren bereits einmal gelungen war.

    Wendel hatte Stephan vorab die von der Justizvollzugsanstalt ausgestellte Besuchserlaubnis zugeschickt. Die Zeit war vorgegeben: Donnerstag, 28. Juni, 10.30 Uhr. Die Besuchszeit betrug maximal 120 Minuten. Dem Schreiben war der Hinweis beigefügt, dass sich jeder Besucher durch Ausweis oder Pass legitimieren müsse.
    Um 10.35 Uhr saß er Maxim Wendel im großen Besucherraum gegenüber. Der Raum hatte Kantinenatmosphäre. Sie setzten sich an einen Tisch in der Ecke. An drei oder vier weiteren Tischen empfingen andere Gefangene ihre Besucher. Es waren eigenartig unemotionale Begegnungen zwischen der Außenwelt und der Welt innerhalb der Gefängnismauern, in der die Zeit langsam vor sich hinkroch und von den stets gleichen Ritualen geprägt war.
    »Sie sind da, endlich!«
    Wendel lächelte und schwieg gerührt. Er rieb sich verlegen durch sein Gesicht und schüttelte ungläubig den Kopf.
    Stephan hatte Maxim Wendel als drahtigen, sportlichen, rund 35-jährigen Mann in Erinnerung, der auf sein gepflegtes Äußeres Wert legte und sich in seinem häufig forschen Auftreten gefiel. Der schlanke, fast 1,90 Meter große Mann hatte in der Haft seine Sportlichkeit bewahrt. Stephan vermutete, dass er hier alle Möglichkeiten nutzte, seinen Körper zu trainieren. Das Gesicht war schmaler als früher, sein Haar grauer, der Schnäuzer entfernt. Doch diese Veränderungen waren unbedeutend. Stephan spürte, dass Maxim Wendel ein gebrochener Mann war. Jetzt, wo er ihn vor sich sah, ohne dass Wendel mehr als die wenigen Worte zur Begrüßung gesprochen hatte, offenbarte sich dieser Zusammenbruch in radikaler Nüchternheit. Wendels lange Briefe zeugten von einer Verzweiflung, die schon wegen ihrer vielen Worte nicht so markant überzeugten wie Wendels Gesichtsausdruck und mit ihm seine ganze Körpersprache, die in diesen erst wenigen Augenblicken Bände sprachen.
    »Es ist das erste Mal, dass ich eine Justizvollzugsanstalt von innen sehe«, sagte Stephan frei heraus. »Sie wissen, dass ich kein Strafverteidiger bin. Ich habe während meiner ganzen bisherigen anwaltlichen Tätigkeit nicht einen einzigen strafrechtlichen Fall bearbeitet.«
    Stephans Worte wirkten hölzern und entschuldigend. Sie wollten die von Wendel gehegten Erwartungen dämpfen, doch sie blieben wirkungslos.
    Wendel sah Stephan eine Weile an. Dann lächelte er wieder, zaghaft und doch eigenartig ermutigend.
    »Aber Sie sind doch hier, Herr Knobel!«, sagte er sanft. »Sie waren einmal mein Anwalt, und Sie werden wieder mein Anwalt sein.«
    Wendel beobachtete Stephan gerührt weiter, als sei für ihn ein Wunder wahr geworden.
    »Sie wissen, welche Voraussetzungen das Gesetz aufstellt, um einen abgeschlossenen Prozess neu aufzurollen?«, fragte Stephan geschäftsmäßig. »Die Hürden eines solchen Verfahrens sind extrem hoch.«
    Wendel nickte. »Insbesondere müssen neue Beweise vorgelegt werden, die meine Unschuld belegen«, wusste er. »Ich hatte viel Zeit, mich in der Gefängnisbibliothek in das Strafprozessrecht einzuarbeiten. Ich weiß über diese rechtlichen Feinheiten im Moment vielleicht mehr als Sie selbst, Herr Knobel. Doch über diese Beweise verfüge ich nicht. Ich kann Ihnen nicht einmal eine Geschichte erzählen, wie es gewesen sein könnte. Sicher ist nur, dass ich in eine Falle getappt bin.«
    »Herr Wendel …«, hob Stephan an.
    »Sie haben 120 Minuten Zeit, Herr Knobel«, unterbrach ihn Wendel. Der Glanz in seinen Augen war verflogen. Er war augenblicklich auf die Sachebene übergewechselt.
    »120 Minuten sind die maximale Besuchszeit eines jeden Strafgefangenen pro Monat«, erklärte er. »Ich habe die gesamten 120 Minuten des Monats Juni auf Sie gebucht, Herr Knobel. Wenn Sie eher gehen, können oder müssen Sie das tun. Es besucht mich hier ohnehin niemand. Also ist es egal, wenn die unverbrauchte Zeit verfällt. Die Zeitdimension in so einer Anstalt ist eine andere, glauben Sie mir.«
    Wendel redete ruhig und abgeklärt. Stephan war sich unsicher, ob die wie abgerufen wirkende Gleichgültigkeit nur Teil einer Kulisse war, in deren Schatten Wendel sich in der Haftanstalt über die Zeit rettete, während innerlich ein Feuer zu lodern begonnen hatte, das ihm noch einmal Kraft gab, die eigene Befreiung aus der aussichtslos erscheinenden Lage zu versuchen. Doch Wendel konnte nichts
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