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Rappen lernen

Rappen lernen

Titel: Rappen lernen
Autoren: Mark Greif
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Angehörige verschiedener Rassen gewohnt hatten, erlebten auch weiterhin die sogenannte »white flight«, im Zuge derer alle weißen Arbeiter, häufig selbst Iren, Italiener, Polen oder Angehörige anderer ethnisch markierter 35 Bevölkerungsgruppen, die es sich leisten konnten, in rein weiße Vororte abwanderten. Mit ihnen gingen einige Afroamerikaner, die es unter den günstigen Bedingungen Mitte des 20. Jahrhunderts geschafft hatten, die große amerikanische Erzählung von der Aufwärtsmobilität zu realisieren und in die Mittelklasse aufzusteigen. Eine andere schwarze Mittelklasse bildete sich um die wenigen starken Institutionen, in denen das Ethos der Affirmative-Action-Programme sich ausbreitete und die bereit waren, den Afroamerikanern zu helfen: Universitäten, Berufsschulen, Regierungsbehörden, bisweilen sogar die Wall Street, um nur einige zu nennen.
    Wie sich herausstellen sollte, wirkten in der neuen Dienstleistungsökonomie Selektionsmechanismen, die vormalige Industriearbeiter, insbesondere einkommensschwache schwarze Männer, stark benachteiligten. In der Industrie, wo Kraft und Zähigkeit gefragt waren, hatte man sie irgendwann akzeptiert; im Service-Bereich galten sie jedoch als feindselig und Furcht einflößend. Die am besten bezahlten Jobs in diesem Sektor belohnen Fügsamkeit, die Fähigkeit, ein Gefühl der Intimität herzustellen, weißes Ostküstenenglisch und zumindest ein Minimum an sichtbarem Stolz und Unabhängigkeit. Das genaue Gegenteil also jener Kultur der Härte, die gerade schwarze Männer seit der Zeit der Sklavenbefreiung entwickelt hatten, um der Bedrohung durch die Weißen sowie Forderungen nach einer neuerlichen Trennung der Rassen und nach einem höflichen, ja weiterhin unterwürfigen Auftreten zu begegnen. Dazu kam, dass die Firmen des Dienstleistungssektors ebenfalls aus den zunehmend geisterhaften Innenstädten in die Vororte und Trabantensiedlungen abwanderten, die außerhalb der städtischen 36 Nahverkehrsnetze lagen und daher für die vormals der Mittelklasse angehörenden Schwarzen in den Zentren kaum erreichbar waren. (Natürlich erging es den weißen Arbeitern in diesen Jahren wenig besser, auch ihre Hoffnungen wurden demoliert: Der Großteil der Jobs, die in der Industrie oder im Dienstleistungsbereich verloren gingen, wurde in Niedriglohnländer verlagert. In den letzten Jahren hat das Kapital überdies einige große Städte rekolonisiert, so dass selbst die armen Bevölkerungsschichten die Innenstädte verließen und sich in einem Ring von zunehmend heruntergekommenen Vororten ansiedelten, was zu dem neuen amerikanischen Phänomen der Suburbanisierung der Armut geführt hat.)
    Die Unruhen in den schwarzen Innenstädten (also den älteren, ökonomisch weniger attraktiven Vierteln, die die Weißen verlassen hatten) begannen bereits Mitte der Sechziger. In den nächsten zehn Jahren wurden die von den Ausschreitungen betroffenen Gegenden nicht wiederaufgebaut, niemand investierte in die dortige Infrastruktur. Ohne die zahlungskräftige Mittelklasse brachen Steuereinnahmen weg, die notwendig gewesen wären, um den Niedergang der Innenstädte zu verhindern; und auch in der Folgezeit waren die »Gettos« für keine Regierung ein vorrangiges Problem. Ein neues Jim-Crow-Regime wurde im Norden allerdings erst unter den Regierungen Reagan und Bush errichtet, die einen Krieg gegen die Armen führten, den sie offiziell als »Krieg gegen Drogen« verkauften, eine Politik, die in weiten Teilen auch unter Bill Clinton fortgeführt wurde. Neoliberale Regierungen in Washington verwandelten die Innenstädte in militarisierte Zonen, um einen Feldzug gegen Armut und Hoffnungslosigkeit zu führen. Aus Sicht der neoliberalen Ideo 37 logen galt Armut als Verantwortungslosigkeit. Und der beste Beweis dafür, dass die Menschen ihre Armut tatsächlich verdienten und dass man dagegen wenig ausrichten konnte, war die unvermeidliche Selbstmedikation mit aus Lateinamerika ins Land geschmuggelten Drogen (die Armen hatten schließlich keinen Zugang zu den Psychopharmaka der Mittelklasse, zu Valium und später Prozac). In Städten wie insbesondere Los Angeles, in denen Teile der Polizei ohnehin rassistisch waren und der Doktrin der weißen Vorherrschaft anhingen, nahmen die neuen »Anti-Gang«-Taktiken den offen terroristischen Charakter einer Strafexpedition an (daraus entsprangen die Misshandlungen, die später die Unruhen in Los Angeles auslösen sollten).
    Nach der reinen neoliberalen Lehre
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