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Rappen lernen

Rappen lernen

Titel: Rappen lernen
Autoren: Mark Greif
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Emotionen und Ausdrucksmitteln spielen, über die zuvor keine Richtung der populären Musik je verfügt hatte. Durch das Crack-Geschäft wurde er zu einem großen Breitwand-Epos, und die Rapper integrierten die großen amerikanischen Mythen vergangener Epochen des Gangster-Kapitalismus in ihre Texte, Mythen, denen Coppola, De Palma und Scorsese in ihren Filmen ein Denkmal gesetzt hatten.
    Dieser Zusammenhang entging vielen weißen Gelegenheitshörern wie mir, die jene endlose Rhetorik des Geschäftes, der Organisation, der »Firma« (»The Firm«, der 43 Name, den Nas seinem Rap-Kollektiv gab), der »Kommission« (»The Commission«, wie Notorious B.I.G. eines der Projekte nannte, die er neben seiner offiziellen Crew »Junior M.A.F.I.A. « betrieb) nicht zu deuten verstanden, da wir mit Crack eben ausschließlich Abhängigkeit und Elend assoziierten. Auch den offensichtlichen Ehrgeiz, mit dem erfolgreiche Rapper sich einen Platz in den sich immer mehr in Konzerne verwandelnden weißen Platten-Labels sichern wollten, über die in den Neunzigern das Hip-Hop-Geschäft lief, habe ich damals nicht verstanden (das beste Beispiel ist Jay-Z, der für kurze Zeit der Chef von Def Jam Records war; Def Jam war zunächst ein außergewöhnlich großes, von Schwarzen betriebenes Indie-Label, doch in der Zeit von Jay-Z war es längst Teil von Universal, einem Konzern, dem nicht nur Hip-Hop-Label gehören, sondern auch Decca und die Deutsche Grammophon). Bisweilen wurde dieses Motiv allerdings explizit formuliert, etwa von Jay-Z selbst. Man wollte sich für die historische Ausbeutung der Schwarzen durch weiße Kapitalisten, Labels und Musikproduzenten rächen und neue Vorbilder schaffen.

    »I do this for my culture, to let ’em
    know what a nigga looks like
    when a nigga’s in a ’Rossta. Show ’em how to
    move in a room full of vultures
    Industry’s shady, need to be taken over
    Label owners hate me, I’m raising the status quo up
    I’m overcharging niggas for what they did to the Cold
 Crush
    Pay us like you owe us for all the years that you hoed us
    We can talk, but money talks, so talk mo’ bucks.«

    44 Diese Begründung klang ein bisschen dünn, vor allem, weil es ja die Alternative unabhängiger schwarzer Labels gegeben hätte. Hier war wenig zu spüren vom Ethos der Unternehmensgründungen durch Schwarze, von der Begeisterung für Geschäftsmodelle innerhalb der afroamerikanischen Community, für die einst Leute wie James Brown gestanden hatten. Nein: Wem es gelang, aus dem Crack-Handel auszusteigen und ein erfolgreicher Musiker, Künstler, ja Star zu werden, der wollte genau die Belohnungen haben, die auch Weiße im Rahmen des egoistischen, am individuellen Aufstieg orientierten neoliberalen Kapitalismus bekamen, zu dessen exakter Kopie sich der Hip-Hop in seiner Gangster-Phase überraschenderweise entwickelte. Der Drogenboss, der sich in einen erfolgreichen Rapper verwandelte, würde letzten Endes dieselben scheinbar unerreichbaren Statussymbole erringen und zur Schau stellen wie erfolgreiche Investmentbanker oder Vorstandsvorsitzende. Auch er würde eines Tages einen Privatjet, einen Bentley und Louis-Vuitton-Taschen haben, Gucci-Anzüge tragen, die teuersten Whiskeys und Cognacs trinken – die Sachen eben, die in den Anzeigen der Hochglanzmagazine beworben werden, die wir zwar alle lesen, die sich jedoch in erster Linie an die ultrareichen Weißen richten, die es geschafft haben, den Rest des Landes im Zuge der beispiellosen sozialen Polarisierung hinter sich zu lassen, die wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben und die immer noch weitergeht.
    Was gerade in den erfolgreichsten und bedeutendsten Stücken so gut wie nie zur Sprache kam, waren die Freuden und Visionen der Mittelklasse. Auch dass es so etwas geben könnte wie kollektiven sozialen Aufstieg, Eigentum, das der ganzen Gemeinschaft gehört, oder kleine, 45 unabhängige schwarze oder multiethnische Unternehmen, spielte überhaupt keine Rolle. Es gab nur zwei Alternativen: entweder das individuelle Schicksal des elenden kleinen Gauners, der jederzeit von der Polizei verhaftet oder schikaniert werden konnte; oder aber das individuelle Schicksal des erfolgreichen Dealers oder Hip-Hop-Stars, der es – zumindest vorübergehend – an die Spitze der Hierarchie der weißen Oberklasse schafft, deren Statussymbole er anerkennt und erobert hat.
    Die Haltung des Punk oder Postpunk, die weiße Mittelklasse-Amerikaner aus den frühen Achtzigern geerbt hatten,
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