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Rappen lernen

Rappen lernen

Titel: Rappen lernen
Autoren: Mark Greif
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verkauften. Zudem brauten sie ein Crack zusammen, das sich von dem ihrer Konkurrenten überhaupt nicht unterschied, da sie es alle strecken mussten, um Gewinn zu machen. Wer ein besseres Produkt hergestellt hätte, wäre ökonomisch gescheitert. Der entscheidende Weg, um sich einen Vorteil zu verschaffen und zugleich der Verhaftung zu entgehen, war der kluge Einsatz von Sicherheitsmaßnahmen und Gewalt. Studien über die Wellen der Tötungsdelikte zeigen, dass weder die Täter noch die Opfer high waren, sie waren aber in irgendeiner Weise ins Drogengeschäft verstrickt.
    Die Hochzeit der Gangster und alles, was seit 1988/1989 darauf folgte, hatte einen unerwarteten Nebeneffekt im Bereich des Hip-Hop, und das gilt bis in die Gegenwart selbst für den Großteil der absoluten Meisterwerke des Genres: Sie führte zu einer Neukonfiguration der Themen, Metaphern, der Haltung und der Authentizität der Texte. Sie handelten nun vom Geschäft, vom Eigentum und von Gewalt, und all dies ging auf das Crack-Drama zurück. Von den Anfängen Mitte der siebziger Jahre bis in die späten Achtziger rappte man irgendwelche Prahlereien, über Partys und Liebe, man huldigte erschwinglichen Konsumgütern (hauptsächlich Klamotten, Turnschuhen – »My Adidas« – und ab und an mal einem Auto), schickte Grüße in die anderen Viertel und beklagte gelegentlich das triste Leben in den postindustriellen Städten (zum Beispiel in Grandmaster Flashs »The Message«). Ende der Achtziger veränderte sich das schlagartig angesichts des harten Durchgreifens der Polizei und 41 der neuen Struktur des Drogenhandels. So wurde Rap zu einer wirklich kapitalistischen Musikrichtung, die auch heute noch mehr über die Gegenwart zu sagen hat als andere Kunstformen. In den Texten aus den neunziger Jahren ist das Crack die Quelle des Bargelds, mit dem man den ersten Champagner, die Klunker und die Autos bezahlt – und zugleich der Ursprung jenes Pathos, der damit zusammenhängt, dass man diese Reichtümer nur für kurze Zeit wird genießen können, bevor man verhaftet oder erschossen wird. Anders ausgedrückt: Crack war der ursprüngliche Grund, aus dem die Metaphern und die Haltung nun um das Geschäft und die Jagd nach Geld kreisten. Bald sollte jedoch das Rappen selbst das Dealen als wichtigste Geldquelle ablösen, da die neue Grandezza der Themen es erlaubte, Hip-Hop an weiße Amerikaner und den Rest der Welt zu verkaufen.
    Ein besonders wichtiger Punkt, den man in diesem Zusammenhang nie vergessen darf, ist, dass die MC s selbst nie Crack rauchen. Sie verkaufen es. Um es noch einmal zu unterstreichen: In keinem Song, an den ich mich erinnern kann, nimmt irgendein Rapper Crack. Biggie handelt damit, Jay-Z handelt damit, Nas handelt damit, Raekwon handelt damit, 50 Cent handelt damit. Und von den Gewinnen kaufen sie sich Gras oder Alkohol, um zu entspannen (dieselben Drogen also, die um die Jahrhundertwende alle aufrechten Amerikaner konsumierten, egal, welcher Schicht oder welcher Rasse sie angehörten). Der ständige Wechsel zwischen diesen Aktivitäten – vom »rap game« zum »crack game« und zurück (»If I wasn’t in the rap game / I’d probably have a key knee deep in the crack game«, heißt es bei Notorious B.I.G. ) – ist es, der ab 1988 die neue Erzählung vorantreibt. Man weiß gar nicht so 42 genau, worüber ein MC nun gerade rappt, weil die beiden Bereiche sich strukturell so sehr ähneln. Selbst herausragende MC s können komplexen und rein fiktiven Dramen durch die biografische Tatsache Authentizität verleihen, dass ein im Getto geborener Rapper in diesen Jahren mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit im Alter von fünfzehn oder sechzehn selbst einer jener Wachtposten oder Läufer war, die an den Straßenecken herumstanden. Andere dachten sich diese Geschichten einfach aus. Das ist eine der merkwürdigen Eigenschaften von Drogen, die damit zusammenhängt, dass sie verboten sind, aber auch damit, dass sie die Tendenz haben, noch in den letzten Winkel des Privatlebens vorzudringen, so dass sich die jungen Leute – über alle Schichten hinweg – wie Outlaws fühlen. »Ich war dabei«, das ist die Botschaft der Texte über das Dealen. Die Polizei stellt eine tödliche Gefahr da, die Konkurrenten auch, aber es lohnt sich, und die Gewinne, die das Geschäft verspricht, werden universell als verlockend empfunden.
    Letztendlich war es diese Verbindung, die dem Hip-Hop zu seiner opernhaften, titanischen Größe verhalf; er konnte virtuos mit
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