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Rappen lernen

Rappen lernen

Titel: Rappen lernen
Autoren: Mark Greif
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nicht sagen dürfen. Es ist sicher kein Zufall, dass es genau in dem Moment auftaucht, als immer mehr Weiße sich für Hip-Hop interessierten, als Weiße (in absoluten Zahlen) mehr Hip-Hop-Platten kauften – was den Menschen bereits damals bekannt war – und Vanilla Ice in den Startlöchern stand. Das Wort »Nigger« war eine Art Sollbruchstelle: Wollte ein Weißer rappen, würde er sich bei diesem Wort verraten. Wenn man nur ein weißer Angeber war, konnte man eben nicht richtig rappen, also so, wie die Schwarzen es taten. Außerdem konnte man nie mit den offiziellen Reimen trainieren. Entweder konnte man nicht in der Öffentlichkeit rappen, Punkt. Oder man konnte nicht richtig rappen. Man lief mit diesem Makel herum, als ob man nur ein Bein hätte, war irgendwie auf sanfte Weise exkommuniziert.
    »Nigger« ist ein extrem flexibler zweisilbiger Einschub, der sich im Englischen auf alles Mögliche reimt. Schon bald war das Wort ein unverzichtbarer Bestandteil, wann immer es darum ging, in Reimform zu prahlen: 27 »Nigger« reimt sich auf »bigger«, auf »trigger«, »figure«, »did her« usw. N.W.A. trieben die Sache auf die Spitze, indem sie sich einen Bandnamen aussuchten, den man weder drucken noch aussprechen konnte, außer in der abgekürzten Form (der eigentliche Name war dem Vernehmen nach »Niggas with Attitudes«). 2 Das Wort kam in Songtiteln und in Refrains vor, besonders »bewusste« und friedliebende Rapper (zum Beispiel A Tribe Called Quest in der Zeile »Sucka niggas / Nigga nigga«) verwendeten es ebenso wie die verwegensten (zum Beispiel der Wu-Tang Clan in »Shame on a nigga who try to run game on a nigga«) – es hatte den Eindruck, als ob die Wiederholung an sich eine Funktion erfüllte. Als besonders clever erwies sich einmal mehr Jay-Z, der ohnehin als König der Markenpflege in eigener Sache gelten kann. Er verpasste sich selbst den genialen Spitznamen »Jigga«, den er wiederum auf »Nigga« reimen konnte, was es ihm erlaubte, eine Unmenge an Titeln und Refrains zu fabrizieren: Es begann mit »Ain’t No Nigga«, später folgten »Jigga that 28 Nigga«, »Nigga What, Nigga Who« und unzählige andere. »Ain’t No Nigga« sollte nicht bedeuten, dass Jay-Z kein »Nigga« war (wie etwa noch in Sly Stones antirassistischem »Don’t Call Me Nigger, Whitey«), sondern dass es keinen »Nigga« gab, der Jay-Z das Wasser reichen konnte. Eine Strategie, die ursprünglich entstanden war, um eine Vereinnahmung durch die Weißen zu verhindern, warf so irgendwann auch in formaler Hinsicht eine Dividende ab.
    Die andere Rechtfertigung dafür, das Wort wieder zu verwenden, war die simple Tatsache, dass der Rassismus nach wie vor existierte und die Weißen mit den Schwarzen und damit auch mit den schwarzen Rappern immer noch wie mit Abschaum umgingen. Doch wenn das weiße Amerika sie schon wie »Nigger« behandelte, indem man ihnen in den Städten Jobs und Sozialleistungen wegnahm, indem man sie in dieser Hölle im Stich ließ, warum sollte man das dann nicht offen aussprechen? Diese Erklärung präsentierte N.W.A. schon ziemlich früh. »Niggaz 4 Life« ist nicht unbedingt ein herausragender Song, aber er bringt die Sache immerhin schnörkellos auf den Punkt:

    »Why do I call myself a nigga you ask me?
    I guess it’s just the way shit has to be
    Back when I was young gettin a job was murder
    Fuck flippin burgers, cause I deserve a
    nine-to-five I can be proud of, that I can speak loud of
    And to help a nigga get out of
    Yo! The concrete playground
    But most motherfuckers only want you to stay down …

    29 Why do I call myself a nigga you ask me?
    Because police always wanna harass me
    Every time that I’m rollin
    They swear up and down that the car was stolen
    Make me get face down in the street
    And throw the shit out my car on the concrete
    In front of a residence
    A million white motherfuckers on my back like I shot
 the President«

    Die zweite Barriere, die einen jungen Weißen in der Zeit, als der Hip-Hop sich in eine wirklich epochale Kunstform verwandelte, daran hinderte, sich damit zu identifizieren, waren die Lebensbedingungen und die Todesgefahr, unter denen die schwarze Unterschicht in den späten Achtzigern ihr Dasein fristete. Zunächst gab es da die Epidemie der Morde. Wenn man vor zwanzig Jahren Texte rappte, in denen es um Totschlag ging, dann fühlte sich das so an, als ob man über reale Verbrechen redete. Diese Tatsache vergisst man heute, in einer Zeit, in der der
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