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Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld

Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld

Titel: Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
Autoren: Ian Rankin
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hätte veröffentlicht werden können. Doch Rebus wusste, dass in den lokalen Radionachrichten etwas darüber berichtet würde, und so war es ihm ausnahmsweise einmal ganz recht, als Patience das Nachttischradio auf einen Klassiksender einstellte.
    Seine Schicht hätte um Mitternacht zu Ende sein sollen, aber Morde pflegten nur selten Rücksicht auf den Dienstplan zu nehmen. Wenn man in einer Mordsache ermittelte, machte man dann Feierabend, wenn es sich irgendwie einrichten ließ. Rebus war bis zwei Uhr früh dageblieben und hatte sich mit der Nachtschicht über die Leiche in Mary King’s Close beraten. Er hatte seinem Chief Inspector und Chief Super Meldung gemacht und war mit der Zentrale in Fettes, wo das von der Spurensicherung gesammelte Material hingebracht wurde, in ständigem Kontakt geblieben. D.I. Flower hatte ihn immer wieder gedrängt, nach Haus zu fahren, was er zuletzt auch tat.
    Das eigentliche Problem mit den Spätschichten war, dass Rebus danach nicht mehr richtig schlafen konnte. Er war schon nach vier Stunden wieder aufgewacht, und vier Stunden würden genügen müssen. Aber es hatte etwas Wohliges, ins Bett zu schlüpfen, wenn die Dämmerung nahte, und sich an den Körper dessen zu kuscheln, der da schon schlief. Und ein weiterer Genuss lag darin, dabei die Katze vom Bett zu schubsen.
    Vor dem Hinlegen hatte er sich einen vierfachen Whisky genehmigt. Er sagte sich, das sei aus rein medizinischen Gründen, spülte aber das Glas ab und stellte es weg in der Hoffnung, dass Patience nichts merken würde. Sie beklagte sich oft über seine Trinkerei – unter anderem.
    »Wir gehen essen«, sagte sie jetzt.
    »Wann?«
    »Heute Mittag.«
    »Wo?«
    »In diesem Lokal in Carlops.«
    Rebus nickte. »Hexensprung«, sagte er.
    »Was?«
    »Das ist die Bedeutung von ›Carlops‹. Da gibt’s einen gro- ßen Felsen. Früher warf man mutmaßliche Hexen da hinunter. Wenn man nicht fliegen konnte, war man unschuldig.«
    »Aber auch tot.«
    »Das damalige Gerichtswesen war noch etwas unausgereift, siehe die Wasserprobe. Gleiches Prinzip.«
    »Woher hast du diese ganzen Dinge?«
    »Es ist erstaunlich, was diese jungen Constables heutzutage alles wissen.« Er schwieg kurz. »Was das Essen angeht … Ich müsste arbeiten gehen.«
    »O nein, das tust du nicht.«
    »Patience, es hat einen –«
    »John, es gibt bald hier einen Mord, wenn wir nicht anfangen, etwas Zeit miteinander zu verbringen. Meld dich krank.«
    »Das kann ich nicht machen.«
    »Dann mach ich das. Ich bin Ärztin, sie werden mir schon glauben.«
    Sie glaubten ihr.
    Nach dem Mittagessen unternahmen sie einen Verdauungsspaziergang zum Carlops Rock und wagten anschließend trotz des heftigen Windes einen Aufstieg in die Pentlands. Wieder in Oxford Terrace, meinte Patience schließlich, sie habe noch einigen »Bürokram« zu erledigen – was Patientenblätter, Buchhaltung oder die Lektüre der neuesten medizinischen Fachzeitschriften bedeuten konnte. Also fuhr Rebus die Queensferry Road entlang stadtauswärts und parkte vor der Kirche Unserer lieben Frau von der immer währenden Hölle, wobei er mit Vergnügen, aber auch ein wenig schuldbewusst bemerkte, dass der boshafte Graffito, der »Hilfe« in »Hölle« verwandelte, immer noch nicht von der Tafel entfernt worden war.
    Innen war die Kirche leer, kühl und still und vom farbigen Licht der Glasmalereien durchflutet. In der Hoffnung, den richtigen Zeitpunkt erwischt zu haben, schlüpfte er in den Beichtstuhl. Auf der anderen Seite des Gitters saß jemand.
    »Vergib mir, Vater«, sagte Rebus, »denn ich bin nicht einmal katholisch.«
    »Ah, gut, Sie sind das, Sie Heide. Ich hatte gehofft, dass Sie kommen würden. Ich brauche Ihre Hilfe.«
    »Sollte das nicht mein Text sein?«
    »Keine Frechheiten, Rotzlöffel. Kommen Sie, lassen Sie uns einen trinken.«
    Pater Conor Leary war fünfundfünfzig bis siebzig und hatte Rebus einmal gesagt, er habe vergessen, welchem Alter er näher sei. Er hatte eine stämmige, fassförmige Gestalt und dichtes Silberhaar, das ihm auch aus Ohren, Nase und Nacken spross. In Zivil, fand Rebus, hätte er ohne weiteres als Hafenarbeiter oder Handwerker im Ruhestand durchgehen können, der in seiner Jugend einen ganz passablen Boxer abgegeben hatte. Und Pater Leary besaß Fotos und Trophäen, die bewiesen, dass Letzteres der Wahrheit entsprach. Er schlug oft eine kurze Gerade in die Luft, um ein Argument zu unterstreichen, und schloss mit einem Aufwärtshaken, um zu zeigen, dass
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