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Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld

Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld

Titel: Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
Autoren: Ian Rankin
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versuchte, spürte er, wie sein Gesicht rissig wurde: eine Salzhaut aus getrockneten Tränen und Schweiß.
    Es war seltsam, wie sich das Leben entwickelte. Man konnte in Liebe und Geborgenheit aufwachsen und trotzdem auf die schiefe Bahn geraten. Man konnte die reinsten Ungeheuer als Eltern haben und dennoch keinerlei seelischen Schaden davontragen. Sein Leben war weder so noch so gewesen. Oder besser gesagt, es war beides gleichzeitig gewesen, denn er war gleichermaßen umsorgt und im Stich gelassen worden. Er war sechs und schüttelte einem korpulenten Mann die Hand. Sie hätten sich näher stehen müssen, aber irgendwie war das nicht möglich. Er war zehn, und seine Mutter sah müde und abgespannt aus, wie sie, über die Spüle gebeugt, Geschirr abwusch. Ohne zu merken, dass er in der Tür stand, hielt sie inne und stützte die Hände auf den Rand der Spüle. Er war dreizehn und wurde in seine erste Gang aufgenommen. Die Jungen schlugen ihm mit der Kantenseite eines Kartenspiels die Fingerknöchel blutig. Einer nach dem anderen schlugen sie alle elf zu. Es tat weh dazuzugehören.
    Jetzt hörte er das Geräusch von schlurfenden Schritten. Die Revolvermündung berührte sein Genick und jagte weitere Wellen durch seinen Körper. Wie konnte etwas nur so kalt sein? Er atmete einmal tief durch und spürte die Anspannung in den Schulterblättern. Es konnte nicht mehr Schmerz geben, als er schon jetzt verspürte. Gepresste Atemzüge nah an seinem Ohr, und dann noch einmal die Worte:
    » Nemo me impune lacessit .«
    Er öffnete die Augen und sah die Geister. Sie saßen in einer verräucherten Schenke an einem langen rechteckigen Tisch, die mit Wein und Bier gefüllten Kelchgläser hoch erhoben. Eine junge Frau rekelte sich auf dem Schoß eines einbeinigen Mannes. Die Gläser hatten einen Stiel, aber keinen Fuß: Erst wenn man sie geleert hatte, konnte man sie wieder, umgekehrt, hinstellen. Es wurde gerade ein Toast ausgebracht. Elegant Gekleidete saßen Seite an Seite mit Bettlern. Es gab keinerlei Schranken, nicht im Schummerlicht der Schenke. Dann richteten sie die Augen auf ihn, und er versuchte zu lächeln.
    Die letzte Explosion spürte er nur noch, hörte sie aber nicht mehr.
1
    Es war wahrscheinlich die schlimmste Samstagnacht des Jahres, ein Grund, warum Inspector John Rebus die Schicht übernommen hatte. Gott war in seinem Himmel und hielt sich fein raus. Am Nachmittag hatte es ein Lokalderby gegeben, Hibs gegen Hearts im Stadion an der Easter Road. Auf dem Weg zurück ins West End und weiter hatten Fans im Stadtzentrum Zwischenstation gemacht, um sich voll laufen zu lassen und ein paar optische und akustische Eindrücke des Festivals mitzunehmen.
    Das Edinburgh Festival war Rebus’ Albtraum. Jahrelang hatte er dagegen angekämpft, hatte versucht, ihm zu entgehen, hatte es verflucht, war in seinen Sog geraten. Es gab Leute, die meinten, das Festival sei irgendwie untypisch für Edinburgh, eine Stadt, die den größten Teil des Jahres verschlafen, bieder, maßvoll wirkte. Doch das stimmte nicht: In Edinburghs Geschichte gab es genügend Ausschweifungen und Rebellionen. Aber das Festival, und besonders dessen alternative Parallelveranstaltung, der »Festival Fringe«, war anders. Beide lebten vom Tourismus, und wo es Touristen gab, gab’s Ärger. Taschendiebe und Einbrecher strömten in die Stadt wie zu einem Kongress, während all die Fußballfans, die normalerweise einen großen Bogen um die Stadtmitte machten, plötzlich zu deren erklärten Liebhabern wurden und den fremden Eindringlingen, die an den Tischen kurzlebiger Straßencafés entlang der High Street saßen, herausfordernde Blicke und Bemerkungen zuwarfen.
    Heute Nacht konnte es durchaus zum großen Knall kommen.
    »Da draußen ist die Hölle los«, hatte ein Constable schon gemeint, als er zu einer Pause in die Kantine gekommen war. Rebus glaubte ihm das aufs Wort. Die Zellen füllten sich ebenso stetig wie die Eingangskörbe des CID. Eine Frau hatte die Finger ihres betrunkenen Ehemanns durch den Fleischwolf gedreht. Irgendjemand versiegelte die Ausgabeklappen von Geldautomaten mit Sekundenkleber und meißelte sie später wieder auf, um die angesammelten Geldscheine herauszuholen. In der Gegend der Princes Street waren mehrere Handtaschen gestohlen worden. Und die Dosen-Gang war wieder unterwegs.
    Die Dosen-Gang hatte eine simple Strategie. Ihre Mitglieder blieben an Bushaltestellen stehen und boten einem der Wartenden einen Schluck aus ihrer Dose an.
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