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Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Titel: Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
Autoren: Robin Hobb
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Verwandlung.
    Es war ein kalter Tag gewesen, und die Haut auf ihrem Rücken war ausgetrocknet, weil sie die lange Nacht über vom Wasser unbedeckt geblieben war. Unter den Schuppen wurde ihre Haut rissig. Als sie an eine Stelle gelangte, wo der Fluss tiefer war, tauchte sie unter, um ihre Kiemen vollzusaugen. Das milchige Wasser schmerzte in den Schrunden. Denn das säurehaltige Wasser fraß an ihr, und wenn sie die Reifegründe nicht bald erreichen würde, würde sie es nicht mehr schaffen.
    Der Nachmittag war schrecklich kurz und zugleich quälend lang. Im tieferen Gewässer konnte sie zwar schwimmen, aber das Wasser brannte ihr auf der rissigen Haut. Dennoch war das besser, als wenn sie auf dem Bauch kriechend versuchen musste, auf den glitschigen Steinen des Flussbetts Halt zu finden. Wenn sie sich umblickte, sah sie überall weitere große Seeschlangen, die sich zuckend, aufbäumend und krümmend flussaufwärts kämpften.
    Als sie schließlich angelangt war, merkte sie es erst gar nicht. Im Westen duckte sich die Sonne bereits hinter die hohen Bäume, die das Ufer säumten. Wesen, die keine Elderlinge waren, hatten Fackeln entzündet und in einem weiten Kreis in den Uferschlamm gerammt. Sisarqua sah sich die Wesen an. Es waren Menschen. Gewöhnliche Zweibeiner, kaum mehr als Beutetiere. Sie huschten hin und her, und offenbar dienten sie Tintaglia auf die gleiche Weise, wie ihr einst die Elderlinge gedient hatten. Auf eine sonderbare Weise war dies erniedrigend – waren die Drachen so weit gesunken, dass sie sich mit Menschen einließen?
    Sisarqua hob Kopf und Mähne und schnupperte in der Abendluft. Etwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht. In ihrem Herzen empfand sie keine Gewissheit, dass dies die Reifegründe waren. Doch am Strand waren bereits einige Schlangen, die ihr zuvorgekommen waren. Manche waren sogar schon in die Hüllen aus silbern schimmerndem Lehm und Speichel eingesponnen. Andere mühten sich noch erschöpft, die Aufgabe abzuschließen.
    Die Aufgabe abschließen. Ja. Ihre Gedanken schnellten in die Gegenwart zurück. Für ihre Erinnerungen war keine Zeit mehr. Mit einem Würgen förderte sie den letzten Rest Lehm und Galle hervor, den sie in sich hatte, und vollendete damit die breite Halskrempe des Kokons. Doch nun war sie leer. Sie hatte sich verschätzt, und ihr blieb nichts mehr, um die Hülle zu versiegeln. Wenn sie versuchte, sich zu dem Brei hinunterzubeugen, würde sie die gewundene Hülle zerstören, die sie eben geschaffen hatte. Und sie trug die schmerzhafte Gewissheit in sich, dass sie nicht mehr die Kraft hatte, um eine zweite Hülle zu weben. Sie war so weit gekommen, so weit, nur um nun doch zu sterben. Nie würde sie wieder auferstehen.
    Eine Welle der Furcht und der Wut durchlief sie. In einem Moment des inneren Widerstreits beschloss sie, aus dem Kokon auszubrechen, doch dann obsiegte wieder die innere Ruhe, gestärkt von einer Flut von Erinnerungen. Dies war der Vorteil, wenn man die Erinnerungen seiner Vorfahren in sich trug: Manchmal behielt die Weisheit des Alten die Oberhand über den Schrecken der Gegenwart. In der inneren Ruhe klärte sich ihr Geist. Sie fand Erinnerungen in sich, Erinnerungen von Schlangen, die einen solchen Irrtum überlebt hatten, und Erinnerungen von welchen, die wegen eines solchen Fehlers gestorben waren. Die Leichname der Unglücklichen waren von jenen gefressen worden, die überlebt hatten. So lebten auch die furchtbarsten Irrtümer fort, um dem Überleben zu dienen.
    In aller Deutlichkeit sah sie drei Wege vor sich: Sie konnte in der Hülle bleiben und nach einem Drachen rufen, um ihr zu helfen, den Kokon vollends zu versiegeln. Doch diese Möglichkeit schied aus, denn Tintaglia war ohnehin schon überfordert. Sollte sie aus der Hülle ausbrechen und von der Drachin verlangen, dass sie ihr Nahrung brachte? Dann würde sie genug Kraft erlangen, um sich erneut einzuspinnen. Auch diese Möglichkeit kam nicht infrage. Wieder drohte sie von panischer Furcht übermannt zu werden. Dieses Mal aber kämpfte sie das Gefühl mit eisernem Willen nieder. Sie würde hier nicht sterben. Dafür war sie zu weit gekommen und hatte zu viele Gefahren gemeistert, um sich nun dem Tod zu überlassen. Nein. Sie würde leben, und im Frühjahr würde sie als Drachin neu erstehen und die Herrschaft über die Lüfte zurückerlangen. Sie würde wieder fliegen. Irgendwie.
    Aber wie?
    Sie würde überleben, um als Königin zu erstehen. Um zu fordern, was einer Drachenkönigin
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