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Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Titel: Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
Autoren: Robin Hobb
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das haben mochte.
    Als sie am Hals angelangt war, überkam sie eine ungeheure Müdigkeit. Die Hülle musste so geschaffen werden, dass sie am Ende nur noch den Kopf einziehen und die Lücke von innen verschließen musste. Jetzt dämmerte ihr langsam, dass die Drachen, die die Schlangen hüteten, einst geholfen hatten, die Hüllen zu versiegeln. Aber Sisarqua wusste auch, dass sie nicht mehr auf solche Hilfe hoffen konnte. Gerade einmal einhundertneunundzwanzig Schlangen hatten sich an der Mündung des Schlangenflusses zusammengeschart, um die verzweifelte Wanderung stromaufwärts zu den überlieferten Reifegründen anzutreten. Maulkin, ihr Anführer, war sehr besorgt über die geringe Anzahl an Weibchen, deren Anteil weniger als ein Drittel betrug. In jedem Jahr der Wanderschaft hätten es ein paar Hundert Schlangen sein müssen, und genauso viele Weibchen wie Männchen. Zu lange hatten sie im Meer verharrt und zu weit waren sie gereist in der Hoffnung, ihre Art zu erneuern. Zu erfahren, dass sie vielleicht schon zu spät und nicht mehr zahlreich genug waren, war ein herber Schlag.
    Durch die Gefahren der Flussreise war die Gruppe noch weiter geschrumpft. Sisarqua wusste nicht genau, wie viele es bis zum sicheren Strand geschafft hatten. Um die neunzig, nahm sie an, doch die Nachricht, dass nicht einmal zwanzig von ihnen Weibchen waren, war um einiges erschreckender. Und um sie herum starben weiterhin Schlangen an Erschöpfung. Gerade als ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, hörte sie Tintaglia mit einem Menschen sprechen. »Er ist tot. Holt eure Hämmer und zerschlagt seine Hülle. Schafft sie in die Grube zu dem Erinnerungslehm, damit die anderen die Erinnerungen seiner Vorfahren am Leben erhalten können.« Auch wenn Sisarqua es nicht sehen konnte, so hörte sie doch, wie Tintaglia den toten Schlangenleib aus der unvollendeten Hülle zerrte. Und als die Drachin den Leichnam verschlang, roch sie das Fleisch und das Blut. Hunger und Müdigkeit krampften sich in ihr zusammen. Sie sehnte sich danach, an dem Mahl teilzuhaben, doch dafür war es zu spät. In ihrem Bauch war Lehm, der verarbeitet werden musste.
    Und Tintaglia bedurfte dringend der Nahrung. Sie war der einzige noch lebende Drache, der sich um all die Schlangen kümmern konnte. Sisarqua hatte keine Ahnung, wo Tintaglia die Kraft dazu hernahm. Ohne Rast war die Drachin tagelang geflogen, um sie den Fluss hinaufzuführen, dessen Lauf sich über die Jahrzehnte hinweg verändert hatte und der ihnen nicht mehr vertraut war. Viele Reserven konnte Tintaglia nicht mehr übrig haben, und sie hatte ihnen kaum mehr als Ermutigungen zu bieten. Was vermochte eine Drachin schon auszurichten angesichts der Not so vieler Seeschlangen?
    Wie die spinnwebartige Erinnerung an einen Traum waberte für einen Moment das Bild eines Vorfahren durch ihr Bewusstsein. »Das ist nicht richtig«, dachte sie bei sich. »Das alles stimmt nicht. Nichts ist so, wie es sein sollte.« Zwar war dies der Fluss, aber wo waren die breiten Auen und die Eichenwälder, die ihn gesäumt hatten? Jetzt grenzten morastige Sumpfwälder an den Strom, und nur selten sah man einen Flecken festen Grunds. Hätten die Menschen das Ufer nicht mit Steinen befestigt, bevor die Schlangen angekommen waren, hätten sie es in ein Schlammloch verwandelt. Doch in der Erinnerung ihrer Vorfahren sah sie weite, sonnenbeschienene Auen und ein üppiges Ufer in der Nähe einer Elderlingsstadt. Drachen hätten Erdklumpen daraus lösen und aus Lehm und Wasser einen Brei mischen sollen. Drachen hätten die Hüllen der Schlangen schließlich vollends versiegeln sollen. Und all das hätte in der Mittagshitze eines hellen Sommertags geschehen müssen.
    Müdigkeit überrollte sie, und die Erinnerung verschwand unwiederbringlich. Sie war nur eine einzelne Schlange, die sich abmühte ihre Hülle zu weben, um sich, vor der Winterkälte geschützt, verwandeln zu können. Eine einzelne Schlange, müde und durchgefroren, die nach einer Ewigkeit des Umherwanderns endlich wieder heimgekehrt war. Ihre Gedanken schweiften zurück in die vergangenen Monate.
    Die letzte Etappe ihrer Reise war ihr wie ein nicht enden wollender Kampf gegen die Strömung im felsigen Flachwasser vorgekommen. Maulkins Knäuel, zu dem sie neu dazugestoßen war, hatte sie in Erstaunen versetzt. Normalerweise bestand ein Knäuel aus zwanzig bis vierzig Schlangen. Maulkin hatte jedoch jede Schlange aufgenommen, die er finden konnte, und hatte sie nach Norden
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