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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song
Autoren: Antje Babendererde
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er vor ein paar Jahren im Burke Museum gesehen hatte. Sie war aus Holz geschnitzt und stellte einen Weißen mit braunen Sonnenflecken im Gesicht dar. Die dunklen Punkte bestanden aus Perlmuttsplittern, die in das Holz eingelegt waren. Die Maske war bemalt gewesen. Helle Haut und rotes Haar.
    Alles wiederholt sich, dachte er.
    Nur mit Mühe vermochte Greg, seinen Unmut zu verbergen. »Ich fahre zum Kap, mal sehen, was sich machen lässt«, rang er sich ab. »Wenn das Telefon klingelt, lassen Sie es klingeln. Alles, was Sie zu tun haben, ist, das Feuer in Gang zu halten.« Er hörte die Feindseligkeit in seiner Stimme und wollte nur noch weg.
    »Danke«, sagte Hanna, die immer noch nichts von seinem Stimmungsumschwung bemerkt zu haben schien. »Der Schlüssel hat einen ziemlich auffälligen roten Plastikanhänger. Ein Werbegeschenk von einer Computerfirma. Ich habe ihn gleich angebracht, nachdem ich den Wagen abgeholt hatte, weil ich meine Schlüssel immer verlege.«
    Greg nickte und verließ das Haus. Während der Fahrt zum Kap versuchte er, seinen Zorn und seine Abneigung zu bekämpfen, um seine Objektivität wiederzuerlangen.
    Doch es wollte ihm nicht gelingen.
    Hanna kam aus Deutschland, das war Grund genug, ihr nicht zu trauen.
    Oben am Kap inspizierte Polizeichef Oren Hunter die Absturzstelle. Der große stämmige Mann mit kurzem Haar und stolzem Schnauzbart verstand die Welt nicht mehr. Kopfschüttelnd, die mächtigen Fäuste in die Hüften gestemmt, stand er da und blickte auf das dunkelblaue Meer hinunter, auf dem noch Teile des kaputten Geländers trieben. Hunter untersuchte die Teile des Geländers, die nicht ins Meer gefallen waren. Irgendetwas stimmt da nicht, dachte er. Irgendetwas, das ihm überhaupt nicht gefiel.
    Chief Oren Hunter wurde in zwei Monaten sechzig und sah seiner Pensionierung entgegen. Für den Rest seines Berufslebens hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, jeglichen Aufruhr zu vermeiden, der nichts als Ärger nach Neah Bay brachte. Denn Ärger hatte er schon mehr als genug. Der Bau des Steges und der Aussichtsplattform am Kap war im Rat genauso heiß umstritten gewesen wie der Bau des Jachthafens. Einige Makah wollten, dass in ihrem Reservat alles so blieb, wie es war.
    Jahrelang war der Tourismus für die Makah nicht mehr als ein notwendiges Übel gewesen. Das einzige Motel von Neah Bay war so heruntergekommen gewesen, dass es in keinem Reiseführer auftauchte. Die Ausschilderung im Ort schaffte mehr Verwirrung als Klarheit und die abweisende Haltung der Einheimischen, die jeden Fremden als Störung empfanden, trug das Übrige dazu bei.
    Nur Hartgesottene ließen sich nicht von derartigen Unannehmlichkeiten schrecken. Die Einzigen, die ein wenig Geld nach Neah Bay brachten, waren Archäologen, Ethnologen, Ornithologen, Sportfischer und eben einfache Reisende, die von den Schönheiten des Kaps erfahren hatten.
    Die wirtschaftliche Situation des Reservats war prekär. Die Hälfte der Makah war arbeitslos und bekam Sozialhilfe. Viele Familien lebten unter der Armutsgrenze, denn die Jobs in Neah Bay und Umgebung waren rar.
    Ein Dutzend Männer und Frauen arbeitete im Clallam-County-Gefängnis. Der Stamm hatte ein paar Forstarbeiter eingestellt – aber die meisten Familien lebten vom Fischfang. Die Fischfabrik im Hafen lief jedoch längst nicht mehr so gut wie früher. Die Maschinen in der kleinen Konservenfabrik waren alt und gingen ständig kaputt, wodurch es laufend zu Produktionsausfällen kam. Außerdem blieben die großen Fänge immer öfter aus. Der Kuroshio, die warme, salzreiche Meeresströmung von der japanischen Ostküste, trieb nicht mehr so viele Fische wie früher in die Küstengewässer vor dem Kap.
    Aus schierer Existenznot hatten die Makah entschieden, in Zukunft Touristen an der Schönheit ihres Landes und ihrer Kultur teilhaben zu lassen. Ein buntes Faltblatt, das kostenlos in jedem Touristenbüro auf der Olympic-Halbinsel auslag, pries Cape Flattery mit seinen Felsenhöhlen und der einmaligen Vogelwelt als Geheimtipp an. Erleben Sie die Schönheit dieser abgeschiedenen Ecke der Welt!
    Mit Unterstützung des Washington State Departements of Natural Resources waren der Steg, die Plattform und die Brüstungen gebaut worden. Das Makah Museum am Ortseingang lockte mit Sonderausstellungen und Workshops. Der Strand, der lange Zeit ausschließlich von Reservatsangehörigen genutzt werden durfte, war der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden – allerdings nur unter strengen
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