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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song
Autoren: Antje Babendererde
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Sklaven zählten zu den Geringsten. Die Oberen besaßen Leibeigene, um sie für sich arbeiten zu lassen und zu zeigen, dass sie wohlhabend genug waren, um sie zu ernähren.
    Die weißen Missionare hatten die Sklaverei schließlich verboten. Grace hatte ihre Granny gefragt, was aus den Nachfahren der ehemaligen Sklaven geworden war und ob sie sich mit den anderen Makah vermischt hatten. Daraufhin hatte die alte Gertrude brummig abgewunken. »Einmal Sklave immer Sklave«, hatte sie gesagt. »Du bist, wer du bist am Tag deiner Geburt.«
    Grace war ein Allabush-Mädchen, deren Wurzeln bis zu den Anfängen der Zeit zurückreichten. Sie trug die Verantwortung, das alte Wissen, ihr Makah-Erbe, für die kommenden Generationen zu bewahren. Alles Wichtige hatte sie von ihrer Granny erfahren und auswendig gelernt. Die Wahrheit des alten Wissens war nicht verloren, wie viele in Neah Bay glaubten. Aber es waren Zeiten großer Veränderungen und Prüfungen für das Volk der Makah. Alles war in Bewegung, was vergessen war, musste wiedererlernt werden. Grace sah in ihrer Aufgabe eine Bürde, aber auch eine Möglichkeit. Die Möglichkeit zu verhindern, dass die alten Fehler der Vergangenheit sich wiederholten.
    Von ihrer Granny wusste sie, dass Generationen von Allabush-Frauen auf die Liebe eines Mannes verzichtet und ihre Träume den Wellen übergeben hatten. Doch Grace hatte keineswegs vor, auf Joeys Liebe zu verzichten, auch wenn das Probleme mit sich bringen würde.
    Einst selber hochgeboren, waren die Vorfahren von Joeys Mutter Sklaven eines Makah-Walfängers gewesen, das wusste Grace schon lange. Einmal hatte sie mitbekommen, wie in der Schule jemand über Joeys Herkunft gelästert hatte. Aber auch wenn er Sklavenblut in den Adern hatte, für sie war er ebenso viel wert wie die anderen. Nein, viel mehr. Grace Allabush liebte Joey von ganzem Herzen und sie war fest entschlossen, um ihr Glück zu kämpfen.
    Ich werde meine Träume nicht den Wellen übergeben.
    Grace schmiegte sich an Joeys Arm, sie beugte sich zu seinem Gesicht und er küsste sie. Doch es war ein halbherziger, gedankenverlorener Kuss. Joeys Blick war schon wieder drüben, am Kap bei seinem Onkel. Grace schnaubte entrüstet. »Offensichtlich ist dein Onkel interessanter für dich, als ich es bin«, sagte sie schmollend.
    Joey wandte sich ihr zu und es zeigte sich ein verstecktes Lächeln auf seinem Gesicht. Statt etwas zu sagen, zog er sie zu sich heran und küsste sie noch einmal. Diesmal spürte Grace, dass seine Gedanken ganz bei ihr waren. Dass er dasselbe wollte wie sie.
    »Komm, lass uns gehen«, sagte er. »Wahrscheinlich wimmelt es hier bald von Leuten.«
    »Du hast recht«, sagte sie zu ihm. »Spätestens heute Abend werden wir wissen, was da drüben los war.«
    Auf dem Parkplatz von Cape Flattery standen neben Hannas rotem Leihwagen ein VW-Bus mit dem Kennzeichen des Bundesstaates Oregon und die beiden weißen Jeeps der Stammespolizei.
    Greg parkte zwischen dem Mietwagen der Deutschen und dem VW-Bus. Als er ausstieg, kamen ein Mann und eine Frau im Outdoor-Look aus dem Wald, die ärgerlich schimpften. Greg nahm an, dass den beiden der VW-Bus gehörte.
    Als das Ehepaar einstieg, sagte die Frau zu Greg: »Wir haben einen weiten Weg auf uns genommen, das Kap zu sehen, nur um dann kurz vor dem Ziel von einem Polizisten zurückgeschickt zu werden, der anscheinend zu viele Wildwestfilme geguckt hat. Was ist eigentlich los mit euch Indianern? So bekommt ihr eure Wirtschaft nie in Gang!«
    »Tut mir leid«, sagte Greg, »es ist nur zu Ihrer Sicherheit.« Er wollte zu einer längeren Erklärung ansetzen, aber da schlug die Frau die Tür zu und ihr Mann ließ den Motor an. Greg sah dem VW-Bus nach, wie er den Parkplatz verließ, und er dachte, dass es nicht schade war um solche Gäste, die nichts als Unfrieden stiften wollten und sich in allem überlegen fühlten.
    Greg umging die Absperrung und schlug den Weg zum Kap ein. Er traf als Erstes auf Bill Lighthouse, der als Sheriff für den Stamm der Makah zuständig war. Der junge Mann stand gleich am Anfang des Pfades hinter einer mächtigen Rotzeder und Greg wäre erschrocken gewesen, hätte er nicht vorher den Geruch von Zigarettenrauch wahrgenommen.
    »Hallo Bill«, sagte er, »bist du zum Touristenschreck avanciert?« In seiner dunkelblauen Uniform wirkte der Sheriff auf Greg jedes Mal fremd, obwohl er ihn gut kannte. Bill war fünf oder sechs Jahre jünger als er. Aufgrund des Altersunterschiedes hatten sie als
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