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Rächende Geister

Rächende Geister

Titel: Rächende Geister
Autoren: Agatha Christie
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ertönte: »Muss ich denn den ganzen Tag warten? Was für ein Benehmen ist das! Niemand nimmt mehr Rücksicht auf mich. Wo ist Henet? Henet versteht mich.«
    Aus dem Wäscheraum erklang Henets frohlockendes Gekicher: »Hast du das gehört, Yahmose?«
    Yahmose erwiderte ruhig: »Ja, Henet, ich verstehe. Du hast Macht. Du und mein Vater und ich, wir drei zusammen…«
    Hori entfernte sich. Yahmose sprach noch einige Worte mit Henet, die ihm zunickte, ihr Gesicht strahlte in bösartigem Vergnügen.
    Dann gesellte Yahmose sich zu Imhotep und Hori und entschuldigte sich wegen der Verzögerung. Die drei Männer gingen miteinander zum Grab hinauf.
     
    Für Renisenb verstrich der Tag nur langsam.
    Von innerer Unruhe getrieben, trat sie auf den Vorplatz, begab sich zum See und kehrte ins Haus zurück.
    Zur Mittagszeit kam Imhotep wieder. Er ließ sich auf dem Vorplatz nieder, wo Renisenb sich zu ihm setzte.
    Ab und zu blickte sie zu ihrem Vater auf. Sein Gesicht trug immer noch den geistesabwesenden, verwirrten Ausdruck. Er sprach wenig. Ein paarmal seufzte er tief.
    Einmal stand er auf und rief nach Henet. Aber gerade da war Henet mit dem Linnen zu den Einbalsamierern gegangen.
    Renisenb erkundigte sich, wo Hori und Yahmose wären.
    »Hori wollte nach den fernen Flachsfeldern sehen«, gab Imhotep Bescheid. »Die Ernte muss aufgeschrieben werden. Yahmose ist bei den Pflanzungen. Es ruht jetzt alles auf ihm… Wehe über Sobek und Ipy! Meine Söhne, meine schönen Söhne…«
    Renisenb versuchte ihn schnell abzulenken.
    »Kann Kameni nicht die Arbeit beaufsichtigen?«
    »Kameni? Wer ist Kameni?«
    »Kameni, der Schreiber. Kameni, den ich heiraten werde.«
    Er starrte sie an.
    »Du, Renisenb? Aber du sollst doch Khay heiraten.«
    Sie seufzte, sagte jedoch nichts mehr. Es dünkte sie grausam, ihn in die Gegenwart zurückzureißen.
    Doch nach einer Weile richtete er sich auf und rief plötzlich: »Natürlich, Kameni! Er ist in die Brauerei gegangen, um dem Aufseher einige Anweisungen zu geben. Ich muss zu ihm.«
    Er schritt davon, wobei er vor sich hin murmelte, aber er hatte wieder seine frühere stolze Haltung angenommen, so dass Renisenb sich ein wenig getröstet fühlte. Vielleicht war diese Geistestrübung nur vorübergehend. Sie blickte um sich. Die Stimmung im Haus und auf dem Hof hatte heute etwas Finsteres. Die Kinder hielten sich auf der anderen Seite des Sees auf. Kait war nicht bei ihnen, und Renisenb fragte sich, wo sie wohl sein mochte.
    Da kam Henet auf den Vorplatz heraus. Sie schaute rings umher und glitt dann zu Renisenb. Sie gab sich wieder ganz demütig und schmeichlerisch.
    »Ich habe auf eine Gelegenheit gewartet, um mit dir allein zu sprechen, Renisenb.«
    »Warum, Henet?«
    Henet senkte die Stimme.
    »Ich habe dir etwas auszurichten – von Hori.«
    »Was denn?«, fragte Renisenb eifrig.
    »Er lässt dich bitten, zum Grab hinaufzukommen.«
    »Jetzt?«
    »Nein, du sollst eine Stunde vor Sonnenuntergang dort sein. Wenn er nicht da ist, möchtest du auf ihn warten. Es ist wichtig, lässt er dir sagen.« Henet machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Ich sollte eine Gelegenheit abpassen, dir das unter vier Augen mitzuteilen. Niemand darf es wissen.«
    Henet verschwand ebenso leise, wie sie gekommen war.
    Renisenbs Lebensgeister hoben sich. Sie freute sich auf den Frieden und die Ruhe oben beim Grab. Ein wenig wunderte sie sich nur, dass Hori seine Botschaft gerade Henet anvertraut hatte.
    Brauche ich Henet überhaupt zu fürchten? dachte Renisenb. Ich bin stärker als sie.
    Sie reckte sich stolz. Sie fühlte sich jung und voller Lebenslust.
     
    Nachdem Henet die Botschaft ausgerichtet hatte, begab sie sich wieder ins Wäschezimmer. Sie lachte still vor sich hin.
    Sie beugte sich still über die in Unordnung geratenen Linnenstöße. »Bald brauchen wir noch mehr von euch«, sagte sie zu den Laken. »Hörst du mich, Ashayet? Ich bin jetzt hier die Herrin, und ich kann dir verraten, dass dein Linnen bald eine neue Leiche umhüllen wird. Wer wird es wohl sein, was glaubst du? Hihi! Du hast nicht viel ausrichten können, nicht wahr? Weder du noch deiner Mutter Brüder, der Nomarch! Gerechtigkeit? Welche Gerechtigkeit gibt es in dieser Welt? Beantworte mir das!«
    Hinter den Linnenballen entstand eine Bewegung. Henet wandte den Kopf.
    Da wurde ein großes Tuch über sie geworfen, das ihr Mund und Nase erstickte. Eine unerbittliche Hand wickelte den Stoff immer fester um ihren Leib, umhüllte sie wie eine Leiche,
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