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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat
Autoren: Frank Goosen
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hervorgerufen wird«. Voraussetzung für die Entstehung von Industrieschnee sind besondere Wetterbedingungen wie Nebel oder hochnebelartige Bewölkung, eine ausgeprägte Temperatur-Umkehrschicht (Inversion) in Bodennähe, geringe Luftbewegung und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Das Zeug ist feinkörniger als normaler Schnee, da er nur aus einer Höhe von 100 bis 200 Metern kommt, sodass die Eiskristalle nicht genügend Zeit hatten, sich auszubilden. (Klugscheißen -leichtgemacht mit Google.)
    Außerdem ist Industrieschnee örtlich eng begrenzt. Für Theo, den alten Schrebergartennachbarn meiner Eltern, war das kein Wunder: »Kumma, hier läuft ne klare Linie durch die Anlage. Auf diese Seite, wo et schön weiß geworden is, da stehen ordentliche Gärten. Gut gepfleecht. Da wird sich gekümmert. Und da drüben«, wies er mit einer Handbewegung ins Ungefähre, »da hausen die Paselacken, die ihren Garten nur zum Saufen haben. Datt hat die Natur schon ganz schön eingerichtet.«
    Ich erlaubte mir einzuwenden, dass Industrieschnee nur wenig mit Natur zu tun habe, weswegen ja der Experte von einer »anthropogenen, das heißt vom Menschen verursachten Beeinflussung des Wetters« spreche.
    Theo schüttelte den Kopf und sagte: »Junge, lass die Finger von den Drogen! Und überhaupt«, fügte er hinzu und stützte sich auf seine Schneeschaufel, »kannten wir sowatt früher nich. Industrieschnee! Datt hatten wir doch gar nich nötich! Schnee war immer da. Und wir waren auch mit wenich zufrieden. Und wenn von dem ganzen Schnee, den wir damals hatten, auch ma watt Industrieschnee dabei war, dann hammwa datt nicht gemerkt.«
    Den Schnee von heute gab es also gestern eigentlich auch schon. Nur hat er sich besser getarnt.
     

Wichtig für die Region
    Ich sitze im ICE von München nach Hannover, und zwar in der ersten Klasse, um den Leberwurstbroten in der zweiten zu entgehen. Mir gegenüber sitzt ein stämmiger Herr in einem blauen Hemd mit weißem Kragen - etwas, das ich ungefähr so sehr schätze wie mit dem Gesicht in ein seit zwei Wochen nicht gereinigtes Katzenklo zu fallen. Der Herr blättert im Handelsblatt, ich halte ihm aus reiner Bosheit eine taz entgegen und lese einen Artikel über die Arbeit illegaler nordafrikanischer Immigranten bei der Wassermelonen-Ernte in Spanien.
    Der Herr mir gegenüber schwitzt. Vielleicht beschäftigt er Schwarzarbeiter. Unter erstaunlich großer Geräuschentwicklung faltet er seine zerlesene Wirtschaftsgazette zusammen und starrt ein paar Sekunden auf die draußen vorbeiziehende Landschaft. Ich weiß, was mir gleich bevorsteht: eines dieser »Fahren-Sie-auch-bis-Hannover?«-Gespräche, die man im Zug viel zu häufig führen muss.
    »Fahren Sie auch bis Hannover?«
    Tatsächlich, er hat es gefragt. Und das auch noch in breitestem Münchener Dialekt. Was jetzt? Am liebsten würde ich ihm sagen, dass ich erst mit ihm rede, wenn er ein anderes Hemd anzieht und Hochdeutsch redet, aber so was traut man sich ja doch nicht. Stattdessen sage ich nur »Ja« und vertiefe mich wieder demonstrativ in das Zentralorgan seines Klassenfeindes.
    »Kommen Sie aus München?«
    Verdammt, der lässt nicht locker.
    »Jetzt gerade ja.«
    »Aber Sie sind nicht von da, das hört man gleich.«
    Donnerwetter, ich reise mit Einstein! »Nein, ich bin nicht von da«, sage ich und denke: Ich war noch nie von da und werde nie von da sein.
    »Woher kommen Sie, wenn ich fragen darf?«
    Innerlich seufze ich und frage mich, wieso man solche Gespräche nie von attraktiven Frauen Ende zwanzig aufgedrängt bekommt.
    »Ich komme aus Bochum«, sage ich.
    »Ach, aus dem Ruhrgebiet?« Da ist er wieder, dieser Blick! Diese Mischung aus Mitleid und Überlegenheit, wenn man jemandem aus Restdeutschland gesteht, dass man aus dem Ruhrgebiet kommt. Ein Blick, der zu sagen scheint: »Ach, das tut uns aber leid, dass du nicht mit uns schwimmen gehen kannst, weil du einen künstlichen Darmausgang hast!«
    Die taz lege ich jetzt mal zur Seite und signalisiere Kommunikationsbereitschaft, denn ich will sehen, wie der dicke Herr mit dieser Antwort klarkommt.
    »Ich muss Ihnen sagen«, bayert er mich an, »ich war erst kürzlich in Mülheim, und ich habe mich gewundert, wie viel Grün es doch im Ruhrgebiet gibt.«
    »Ja, ja, man nennt es mittlerweile Bad Mülheim«, aber darüber kann der Herr nicht lachen, also sage ich: »Das war ein Scherz«, und dann lacht er doch noch.
    Es ist immer das Gleiche: In Bochum hat die letzte Zeche Anfang der
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