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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat
Autoren: Frank Goosen
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Kadett mit Heckklappe, und ich kann stolz sagen: Das ist der Wagen, der mir buchstäblich
unterm Arsch zusammengehrochen ist.
Es war an einem regnerischen Novembermorgen. Ich kam von meiner damaligen Lebensbegleiterin und fuhr die Hofsteder-Straße hinunter zur Herner, als es plötzlich laut und vernehmlich »KLONG!« machte und mir die Kontrolle über den Wagen zu entgleiten drohte. Ich lenkte ihn halb auf den Bürgersteig, wobei Metall sich panisch kreischend an Asphalt rieb, stieg aus und musste feststellen, dass die Hauptantriebswelle am vorderen Ende abgefallen war! Für einen Abschleppdienst hatte ich kein Geld, Kumpels waren um diese Tageszeit nicht zu erreichen, also rief ich meinen pensionierten Oppa an. Mit einem lahmen Kadett musste er doch Mitleid haben!
    Oppa betrachtete mein Werk, rieb sich die Bartstoppeln am Kinn und fragte: »Watt hasse denn zuletzt getankt?«
    Schuldbewusst gab ich zu, aus Kostengründen erst gestern an einer Freien Tankstelle Halt gemacht zu haben.
    Oppa schüttelte den Kopf und meinte: »Durchenander saufen, und dann au noch billigen Fusel! Da kannze au gleich Maggi in die Kiste kippen!«
    Mit mühsam befestigten Gepäckspinnen (!) banden wir die Antriebswelle dann so hoch, dass sie nicht mehr über den Boden schleifte, und schleppten den Wagen zur nächsten Autoverwertung. Oppas letzter Rat in Kfz-Angelegenheiten an mich: »Kauf dir wat, womitte umgehen kannz!«
    Einen Kadett habe ich mir jedoch nie wieder angeschafft. Ich fühlte mich dieser Aufgabe einfach nicht gewachsen.
     

Bluesmobil
    Das erste Auto, mit dem ich unsere Gegend unsicher machte, war kein Pink Cadillac, kein Black Trans-Am, auch kein Opel Kadett, ganz schlicht als Coupé, sondern ein Ford Taunus, Baujahr 71, mit vier Türen, runden Lampen und - Liegesitzen! Na gut, sie hatten die Farbe von toten Motten, aber sie ließen sich so weit nach hinten kurbeln, dass man mit dem Kopf schon fast auf der Straße lag - was ohnehin kein Problem war, da das Bodenblech aussah wie der Durchschlag, in dem meine Mutter immer die Nudeln abtropfen ließ.
    Als ich mich das erste Mal hineinsetzte, hatte ich den Eindruck, die Motorhaube berühre den Horizont und in dem Fußraum vor dem Beifahrersitz könne man bequem eine Partie Krocket spielen. Eine ausreichende Belüftung war aufgrund der oben erwähnten Beschaffenheit des Bodenblechs auch im Hochsommer kein Problem, und die uralten Dreipunkt-Gurte sorgten für eine gewisse nostalgische Anmutung und für den nötigen Nervenkitzel beim dichten Auffahren. Der Taunus schaffte immerhin 140 Stundenkilometer, wobei er von null auf hundert in einer Zeit knapp unter fünf Minuten beschleunigte.
    Wenn ich bei gutem Wetter das Fenster herunterkurbelte, den Ellenbogen in die Sonne legte, die Welt nur noch durch meine billige Sonnenbrille sah und aus dem Kassettenrekorder auf dem Rücksitz diese kleine alte Band aus Texas mit
She don't love me, she loves my automobile!
dröhnte, kam ich mir vor wie Jake und Elwood in einer Person, und nicht selten hörte man mich bei Sonnenuntergang murmeln: »Es sind dreiundzwanzig Kilometer bis Dortmund, ich habe einen vollen Tank und ein halbes Päckchen Schokoladenzigaretten, es ist dunkel und ich trage eine Sonnenbrille! Im Palace Hotel Ballroom wartet keine Sau darauf, dass ich
Minnie the Moocher
singe, und in einen weißen Smoking passe ich ohnehin nicht. Hit it man!«
    Zu meinem neunzehnten Geburtstag ließen sich ein paar Freunde etwas ganz Besonderes für meinen Wagen einfallen. Von der Party im elterlichen Schrebergarten wurde ich gegen Mitternacht abgeführt, hinter einer Hecke sprang Jemand mit einem Radiorekorder auf der Schulter hervor und es dröhnte
Heaven's in the back seat of my cadillac
durch die Dunkelheit. Man verband mir die Augen und nahm mich bei der Hand. Es wurde viel gekichert und gesungen. Als man mir die Augenbinde wieder abnahm, stand ich vor meinem Bluesmobil, das Rallyestreifen aus weißem Klebeband trug, einen Fuchsschwanz an der Antenne und meine Initialen in geschwungenen Lettern im rechten unteren Bereich der Windschutzscheibe. Auf der hinteren Ablage erkannte ich endlich den von mir lang ersehnten gehäkelten Klorollenüberzug in Altrosa sowie ein schmutzigrotes Kissen, auf dem mit Edding meine Autonummer geschrieben stand. Daneben der klassische Wackeldackel. Am Armaturenbrett prangten eine Christophorus-Plakette und ein kleines Groschengrab mit Parkmünzen, vom Innenspiegel baumelte ein ganzer Strauß von Duftbäumen.
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