Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat
Autoren: Frank Goosen
Vom Netzwerk:
aufgekratzte Dampfplauderer, bei dem man nicht weiß, was er überhaupt sagen will, der sich selbst aber für einen steten Quell der Weisheit hält: »Und, bisse datt erste Mal in Bochum? Ach, du wohnz hier? Is nich schön, ne? Abba sollich dir ma watt sagen? Woanders is au scheiße! Bin ich ma gewwesen, kannze vergessen! Weisse eigentlich, datt im Ruhrgebiet der Tod die häufigste Ursache is, datt die Menschen sterben? Datt muss man sich ma vorstellen, datt glauben die jungen Leute ja übbahaupt nich. Kumma, mein Schwager, ne? Dem hammse getz datt linke Bein abgenommen, dabei hat der nie geraucht! Naja, war auch n Aabeitsun-fall, abba wer weiß datt schon so genau! Andererseits: Watt machen wir getz mit die ganzen Aabeitslosen? Bei denen is doch nix los, die hamm ja nich ma Unfälle! Watt machen die den ganzen Tach? Hasse eigentlich watt gegen Ausländer? Ich meine watt, watt wirklich hilft? Der is gut, ne? Zwölffuffzich, abba denk dran, ich hab Familie!«
    Dann gibt es da den gesellschaftskritischen Typen, der sich tiefschürfende Gedanken zum Beispiel über die Gender-Problematik macht. So einer verwickelte mich mal in ein Gespräch über die Liebe und die Frauen.
    »Wissen Sie eigentlich, woran datt licht?«
    »Der Stau?«
    »Der auch. Aber ich meine datt allgemeiner. Dem Elend. Dem Elend in diese Welt?« »Am FC Bayern?« »Scheiße, nein. Anne Weiber!« »Echt?«
    »Hass du in deinem ganzen Leben auch nur eine ehrliche Frau getroffen?« Auf vertrautem Terrain wurde offenbar geduzt.
    »Naja, da war mal eine in Bad Salzuflen ...«
    »Ich nicht. Die haben doch heute allet im Griff, die Weiber, sonst würd ich nich Taxifaahn. Vielleicht war ich Profifußballer oder Astronaut. Die Weiber haben doch allet im Griff. Und die Welt is immer noch Scheiße.«
    In mir erwachte sofort das starke Bedürfnis, all die Frauen aufzusuchen, die ihm die Jobs als Profifußballer oder Astronaut streitig gemacht hatten, und ihnen ausdauernd die Hand zu drücken.
    Wunderschön ist es auch, wenn sich die Minderheiten gegenseitig fertigmachen. So hatte ich mal einen jungen türkischen Chauffeur, der sich nach dem Mauerfall Sorgen um sein Deutschland machte: »Was du können mir sagen über Russen, hä? Was machen Russkis in unser Deutschland, hä? Nammen Arbeit weg, zahlen keine Steuern, nämmen Frau weck, schicken Nutte dafür, klauen Auto und verkaufen nich ma Doner! Hast du schon gegessen russisch? Kannssu vergessen, ist wie Scheiße, schmeckt alles wie geklaute Auto!«
    Wer will da noch mit dem eigenen Auto fahren?
     

Schnee von gestern, Schnee von heute
    Wie jeder weiß, war früher alles besser. Das Geld war noch was wert, die Jugend konnte sich benehmen, die Butter hieß
Gutebutter
und man war auch mit wenig zufrieden. Vor allem aber war das Wetter besser. Überhaupt gab es mal richtiges Wetter, früher. Zwar erklärt einem niemand, wann das war, dieses ominöse Früher, aber das ist auch egal, denn Früher heißt das Land, in dem alle Hoffnungen wahr geworden sind, nur eben hat man es, als Früher das Jetzt war, nicht gemerkt. Das Wetter war jedenfalls wie von Rudi Carrell beschrieben: Sonnenschein von Juni bis September! Früher kam also die Landwirtschaft auch locker mal vier Monate ohne Regen aus. Und im Winter? Da fiel natürlich Schnee, dass es krachte. Zwar kann sich keine Omma und kein Oppa daran erinnern, mehr als einmal Schnee im Dezember gehabt zu haben, trotzdem faseln sie immer was davon, dass Weihnachten früher weißer gewesen sei.
    Heute haben wir Ja praktisch keinen Schnee. Na gut, im Januar/Februar 2009 kriegten wir das weiße Zeug fast vier Wochen nicht von der Straße. Und der Stadtparkteich war so zugefroren, dass die Fische sich mit kleinen Eisfräsen nach oben arbeiten mussten, um Luft in ihr Heim zu lassen. Wir sind sogar Schlittschuh gelaufen. Hm, 2005/2006 war auch ziemlich hart. Aber anders. Der Schnee von gestern hatte es einfach in sich. Na gut, eigentlich war die Luft noch dreckig vom Ruß der Zechen, Stahl- und Hüttenwerke oder wo immer das Zeug damals rauskam, aber er muss damals besser gewesen sein, denn früher war doch
alles
besser!
    Also Anfang 2008, da passierte dann aber mal wirklich was Schockierendes: Wir hatten Industrieschnee! Jawoll, nicht nur die Chinesen können das Wetter manipulieren, um es bei Olympia nett zu haben! Laut Wikipedia spricht man von Industrieschnee, wenn die weiße Pracht durch Emissionen, »vor allem von Wasserdampf und Kondensationskernen von Industrieanlagen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher