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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat
Autoren: Frank Goosen
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In das etwa zwei Männerhände große Loch im linken Kotflügel waren Gänseblümchen gepflanzt. Es schüttelte mich und ich war gerührt.
    Man hat ja schon von kuriosen Defekten bei alten Autos gehört, aber ich glaube, mit einem Ereignis liegt der Taunus ganz vorne in den Charts: Ich stand in Bochum an der Ampel Massenbergstraße/Kurt-Schumacher-Platz und wollte nach links auf den Ostring einbiegen, als beim Einlegen des ersten Ganges der Schaltknüppel in der Mitte durchbrach.
    Ich besorgte mir vom Schrottplatz einen anderen Schaltknüppel und kriegte ihn auch montiert, interessanterweise konnte ich das Ding aber nun nach Belieben abnehmen und während der Fahrt auf die unter mir herziehende Straße blicken. Gerade bei jungen Frauen kam das riesig an, wenn man in den Dritten schaltete, plötzlich den Knüppel in der Hand hatte und verdutzt tat. Kriegte man dann zu hören: »Lass mich sofort an der nächsten Ecke raus!«, konnte es nichts werden zwischen der betreffenden Frau und mir. Blieb sie ruhig und sagte: »Das ist aber interessant! Ist das Graue da unten der Asphalt?«, lagen Liebe und Erotik in der Luft. Der Taunus wurde so zu einem unverzichtbaren Berater in Liebesdingen.
    Und beinahe wäre ich im Taunus sogar entjungfert worden. Der Rücksitz bot genügend Platz, und tatsächlich schaffte ich es bei Carola unter den Pullover und bis zum Saum ihrer Unterhose, dann aber griff sie mir gleichsam ins Steuer und meinte: »Mehr gibt's nur in einem richtigen Auto!«
    Das war der Punkt, an dem ich beschloss, Karriere zu machen. Heute habe ich einen Wagen, in dem man das, was Carola mir seinerzeit verweigerte, durchaus erledigen könnte, aber ich bin nicht mehr gelenkig genug.
    Drei Jahre währte unsere Liebe, dann hieß es Abschied nehmen. Irgendwann winkte Jeder Schweißer und Schrauber ab, wenn ich bat und bettelte, den komatösen Taunus wieder ins Leben zu schweißen und zu schrauben. Ich fuhr ihn schließlich zu ebenjenem Schrottplatz, wo ich den Ersatzknüppel besorgt hatte, und übergab ihn einem Mann, der meinte, er werde sich um ihn kümmern. So muss es sein, wenn man seine Verwandten im Heim abgibt, dachte ich. Nie war der Begriff »Autofriedhof« passender, und tatsächlich verdrückte ich auch das eine oder andere Männertränchen.
    Am Eingang zum Gelände drehte ich mich noch einmal um und noch heute meine ich zu sehen, wie seine runden Scheinwerfer zum Abschied ganz kurz aufleuchteten.
     

Dies ist kein Lieblingslied
    Natürlich wollte ich auch mal weg hier, aber das ist lange her.
    Es hatte mit meinem ersten Auto zu tun, dem dunkelgrünen Ford Taunus. Und damit, dass ich mit zwanzig nicht viel älter war als mit fünfzehn; mit der merkwürdigen Zeit nach dem Abitur und vor dem Studium, mit der Tatsache, dass ich ein winziges Appartement unterm Dach im Haus meiner Eltern hatte, wo ich in langen, heißen Sommernächten auf dem Bett lag und versuchte, wenigstens für ein paar Minuten meinen Namen zu vergessen. Ich hörte laute Musik, bis sich jemand beschwerte, dann setzte ich den Kopfhörer auf und drehte die Lautstärke noch weiter auf.
    Eines Nachts, Juli oder August 86, nahm ich eine Tasche aus dem Schrank, stopfte ein paar Sachen und viele Musikkassetten hinein, kratzte mein Geld zusammen, zog die Jeansjacke an, stürzte die Treppen hinunter und verließ das Haus. Der Wagen stand gegenüber, gleich neben der Litfaßsäule, auf der seit Wochen eine Zigarettenwerbung den Geschmack von Freiheit und Abenteuer versprach. Ich warf die Tasche auf den Rücksitz, stieg ein und fuhr los.
    Carola wohnte in der Nähe der Uni in einem weiß geklinkerten Bungalow. Ihr Zimmer ging im Souterrain zur hinteren Terrasse hinaus. Ein paarmal hatte ich spät in der Nacht diesen Ausgang benutzt, wenn ihre Eltern schon schliefen und ich nicht durchs ganze Haus zur vorderen Tür schleichen wollte. Leider war in diesen Nächten nicht halb so viel passiert, wie alle glaubten und wie ich mir erhofft hatte.
    Während der Fahrt hörte ich Musik, immer wieder die gleiche Nummer, die, die mich überhaupt dazu gebracht hatte, mich um diese Zeit mit diesem speziellen Plan im Kopf auf den Weg zu machen.
    Ich ließ den Wagen in einiger Entfernung vom Haus unverschlossen und mit heruntergelassenen Scheiben stehen. Das hier war eine gute Gegend, und wer sollte schon einen fünfzehn Jahre alten Ford Taunus klauen, dessen Schaltknüppel sich im dritten Gang aus der Verankerung löste?
    Ich ging um das Haus herum, fand die schmale Lücke
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