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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen
Autoren: Simone Knodel
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ein Paar kräftige Hände?“ Er trat an das Fenster, das noch nicht mit Holzläden abgedichtet war. Im Osten hing das Sternbild des Jägers Orion dicht über dem Horizont. „Ich hätte gerade nichts anderes zu tun.“
    Sie blickte ihn überrascht an.
    „Oder soll ich dir wieder irgendwas Heiliges holen? Einen dieser kleinen Sterne vielleicht?“ Er deutete nach draußen in die Nacht.
    Sie lachte. „Nein, ich bin jetzt zufrieden! Beim Bau dagegen wärest du mir tatsächlich eine große Hilfe!“
    Sie schwieg, doch er spürte, dass ihr noch etwas auf dem Herzen lag. Er wusste, was es war.
    Unter einer Bank kramte er ein Paket hervor. „Mein Geschenk für dich!“
    Erstaunt wickelte sie das ungeschickt verknotete Tuch ab. Zum Vorschein kam ein kleines Lesepult aus dunklem Holz. Auf seiner Platte waren Bilder und Symbole geschnitzt: in der Mitte ein Lamm, rechts und links davon zwei christliche Kreuze. Darüber prangte das Christusmonogramm zwischen zwei Tauben. Vorsichtig fuhren ihre Finger über das glatte Holz. In den vier Eckfeldern erkannte sie den Adler als Symbol für das Johannesevangelium, den Menschen für das Evangelium des Matthäus, den Stier und den Löwen für die Bücher des Lukas und des Markus.
    „Hast du das etwa …?“
    Er nickte zufrieden. „… selbst geschnitzt, jawohl!“
    „Aber woher kennst du all unsere Zeichen?“
    „Schwester Basina war so freundlich, mir zu erklären, was man als Christ so wissen muss. Sie meinte, ich wäre so weit …“
    „Wofür?“
    „Na, du weißt schon, diese – Taufe mit dem heiligen Wasser!“
    „Bist du sicher?“ Sie strahlte.
    „Damals, in Konstantinopel, als ich das Kreuz summen hörte – ich glaube, es hat nach mir gerufen!“
Poitiers, August 587
    Die Mauern von Sainte-Croix verbreiten ihr Schweigen in der fortgeschrittenen Nacht. Der Wind hat sich gelegt. Wie ein nasses Tuch liegt die Stille auf den Schultern der alten Frau. Das Feuer im Kamin ist nur noch ein schwaches Glimmen unter weißer Asche. Selbst das Bier im Krug ist kalt geworden. Ihr gichtknotiger Daumen streicht über den Siegellack des obersten Pergaments. Niemand hat diese Briefe je geöffnet, keines der verblassten Siegel wurde gebrochen. Mühsam erhebt sie sich und greift nach dem Schüreisen. Mit zittriger Hand stochert sie und erweckt die Glut zum Leben. Funken stieben auf und verglühen auf den Steinen vor dem Kamin. Bedächtig streckt sie ihren Arm aus und wirft die Briefe in die gierig erwachenden Flammen.
    „Nun wird es Zeit, Vater“, flüstert sie. Zu ihren Füßen stirbt das Feuer in der Asche. Doch vor ihren müden Augen strahlt das Licht, auf das sie gewartet hat. Es ist hell und warm auf dem Weg, und dieser Duft! Der Jüngling kommt ihr entgegen und nimmt sie an der Hand. Ein Lächeln stiehlt sich auf ihre Lippen. Endlich!

Epilog
    Radegunde, die sich in ihren letzten Lebensjahren an strenge Klausur hält, stirbt am 13. August 587 und wird in der Krypta ihrer Klosterkirche (später Ste-Radegonde) beigesetzt. Anwesend ist auch Gregor von Tours, der mit ihr befreundet war und später ihr Begräbnis beschreibt. Bei der Öffnung des Grabes 1012 soll der Leichnam intakt erhalten gewesen sein. 1562 wird das Grab von Hugenotten aufgebrochen und geplündert, die Gebeine werden teilweise verbrannt.
    Neun Orte Frankreichs heißen noch heute nach ihr, sehr viel mehr französische Kirchen unterstehen ihrem Patrozinium. Sie gilt als Schutzpatronin der Töpfer und der Weber, gegen Wassergefahren, Aussatz, Geschwüre, Krätze, Grind und Fieber bei Kindern. Ihr Kult verbreitete sich vor allem in Frankreich, dann in England, Süddeutschland und Österreich. In Thüringen ist Radegunde weniger bekannt, wir wissen von nur zwei Radegunde-Kapellen, die beide nicht mehr existieren. Eine befand sich vor der Mühlburg westlich von Arnstadt (Mauerreste sind vorhanden) und eine bei Helfta nahe Eisleben.
    Dargestellt wird Radegunde als Äbtissin und Klosterfrau, als Gründerin mit Kirchenmodell, mit Buch und Geißel und der Krone zu ihren Füßen. Als Biograph wird Venantius Fortunatus (536 – 610) zum wichtigsten Zeugen von Radegundes Wirken. Von seiner Hand stammt neben etlichen Gelegenheitsgedichten auch die Elegie „Vom Untergang Thüringens“, in der er nach Radegundes Angaben den Überfall der Franken in ihrer Jugendzeit schildert. Ein anderes Bild vermittelt die zweite, etwas jüngere, von der Nonne Baudonivia verfasste Vita, die um 600 im Kloster Ste-Croix lebt, und die Radegunde
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