Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom
Autoren: Die Unperfekten
Vom Netzwerk:
steht da. »Ich bereue, dass ich Dich
damals in New York verlassen habe. Aber ich habe diese Entscheidung getroffen,
und ich muss damit leben. Ich habe geheiratet, dann hast Du geheiratet. Ich
wollte mich danach nicht mehr einmischen. Ich war ein angesehener, ehrenwerter
Mann, so dachte ich, ich wusste nicht, wie ich da hätte aussteigen sollen.
Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kommt es mir vor wie schierer Wahnsinn. Aber
ich hatte mich darin verfangen. Ich selbst hatte mich festgeknotet. Ich habe
aufgebaut und aufgebaut - und wie gut ich das hingekriegt habe! Diese
Wolkenkratzer, alle voller Mieter, Etage für Etage, aber in keinem einzigen
Zimmer warst Du. Du hast mich gefragt, warum ich nach Rom gekommen bin.
Journalismus war mir egal, immer schon. Ich bin gekommen, um mit Dir in einem,
Raum sein zu können, und wenn ich den Raum erst mal schaffen und mit heuten
und Schreibmaschinen und dem ganzen Rest füllen muss. Ich kann nur hoffen, dass
Du verstehst, dass die Zeitung für Dich gedacht war.«
    Dahinter
ist ein blauer Tintenfleck, als hätte der Füllhalter länger auf der Stelle
gelegen. Und dann wieder Schrift, jetzt in winzigen Buchstaben: »Kam? das nicht abschicken
... sollte es verdammt noch mal ...zu spät... sei kein Narr - schick ihr das
jetzt.«
    Er hat es
nie getan.
    Oliver
legt den Block zurück in die Schublade. »Du fettes Ungetüm«, sagt er zu
Schopenhauer, als er ihn die Treppe hinunter trägt. »Du bist immer so viel
schwerer, als ich denke - immer wieder vergess ich das.« Im Salon setzt er den
Hund ab, wie man einen Tisch auf die Füße stellt. Der Tisch hoppelt von dannen.
»Unterm Klavier eingeschlafen!«, sagt er und klatscht die Hände zusammen. »Und
ich bin jetzt total eingestaubt.«
    Das
Telefon rattert wieder gegen die Tapete. »Ich tue so, als ob es nicht
klingelt«, sagt Oliver, »und es tut so, als ob ich nicht da bin.«
    Die
Anrufmaschine piept. »Oliver, hier ist Abbey. Ich würde Ihnen sehr gern von der
Sitzung in Atlanta berichten. Naja, also ich bin zu Hause. Rufen Sie bitte
zurück. Danke.«
    Oliver
lockt Schopenhauer zurück aufs Sofa. »Und guck mich nicht so an«, sagt er. »Ich
möchte gern lesen.« Schopenhauer rülpst.
    »Du
ekelhafter Querkopf«, sagt Oliver. Aber lange kann er nie widerstehen, und bald
krault er ihm die Ohren. Schopenhauer knurrt zufrieden und lehnt sich an
Olivers Flanke. »Mein lieber Freund«, sagt Oliver, »was hab ich für ein Glück.«
Dann setzt er verlegen hinterher: »Wenn mich einer so mit dir reden hört! Aber
das ist doch etwas anderes als Selbstgespräche führen. Du hörst ja zu, weil -«
Er unterbricht sich, um zu sehen, ob eine Antwort kommt.
    Der Hund
gähnt.
    »Siehst
du, ich muss den Satz doch zu Ende sagen, sonst bist du nicht zufrieden.« Dem
Hund fallen die Augen zu.
    In den
folgenden Wochen kommen die Anrufe immer häufiger.
    »Geld,
Geld, Geld«, sagt Oliver zu Schopenhauer. »Was soll ich denn machen? Mir gehört
doch der Ott-Konzern nicht.«
    Kathleen
redet mit der Maschine: »... werde Sie bei der Mitarbeiterversammlung brauchen.
Ich habe allen gesagt, dass Sie kommen, also es wäre mir lieb, wenn Sie zurückrufen
würden.«
    Im Valle
dei Cani hängt Oliver Schopenhauer an die Automatik-Leine, damit er mit den
anderen Hunden spielen, aber nicht weglaufen kann. Die anderen Hundebesitzer
beobachten ihn amüsiert: Er setzt sich in eine Ecke der Rasensenke, hinter
einen Baum, mit einem Krimi vor der Nase, und während er der Welt längste und
sinnloseste Leine in den Händen hält, geht er jedem Blickkontakt aus dem Weg.
Alle paar Minuten rennt er zu Schopenhauer, weil er ein Tier oder einen
Menschen aus der Leine befreien muss. Er sagt nie ein Wort bei solchen
Begegnungen, nicht einmal, wenn er angesprochen wird. Er entheddert seinen
Freund, läuft zurück zu seinem Baum und vertieft sich wieder in seine Lektüre -
beziehungsweise tut weiter so.
    Er hat in
Rom keine Freunde außer Schopenhauer. Er hat nirgendwo Freunde außer
Schopenhauer, es sei denn, sein alter Gefährte aus Schulzeiten ist noch am
Leben, Mr Deveen, der Rentner. Aber Mr Deveen muss längst tot sein. Wie alt
wäre er jetzt? Er hat bestimmt das 21. Jahrhundert nicht mehr erlebt,
bei den vielen Zigaretten. Ein lieber Mann. Man kann ihm keinen Vorwurf machen.
Er war bestimmt einsam. Ja, das ist wohl die beste Erklärung.
    Zum
Abendessen gibt es heute bigoli al tartufo nero, und
Schopenhauer macht auch daraus wieder ein schreckliches Schlachtfeld. Lange
Nudeln
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher