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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom
Autoren: Die Unperfekten
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hoffen? Wir hätten
Kathleen wohl abservieren sollen. Aber seien wir ehrlich: Die Zeitung ist ein
Pleiteunternehmen. Zeit, die Zelte abzubrechen.«
    »Haben wir
denn nicht genug Geld, sie am Leben zu halten?«
    »Selbstverständlich
haben wir genug Geld«, sagt Vaughn, »und zwar, weil wir die Angewohnheit haben,
Scheiße, die sich als Pleite entpuppt, nicht am Leben zu halten.«
    »Aha.«
    »Ich
wünsche, dass du bei der Mitarbeiterversammlung dabei bist. Kathleen drängt
unerbittlich darauf. Und wir wollen sie doch noch ein bisschen bei Laune halten
- wir wollen keine negative Publicity, okay?«
    »Wozu
wollen die mich denn da?«
    »Wir
brauchen einen Repräsentanten von Ott vor Ort. Und diesmal kommst du nicht
drumrum, Ollie.«
    Morgens
vor der Versammlung fragt Oliver Schopenhauer: »Wenn die wie eine Meute über
mich herfallen, beißt du mich raus?« Er kitzelt ihn. »Ich weiß, das machst du
nicht - du wärst keine Hilfe. Na komm.«
    Sie gehen
den ganzen Weg zu Fuß, die Via del Teatro Marcello hoch, über die Piazza
Campitelli, den Corso Vittorio entlang, und Oliver grummelt Schopenhauer zu:
»Ich meine, wir wissen doch alle, dass ich von so was nichts verstehe. Der Rest
der Familie ja. Aber mir fehlt da offenbar irgendwas. Irgendein Chromosom
dafür. Das Cleverness-Gen. Ich bin defekt. Aber jetzt frage ich dich,
Schopenhauer: Kann man mir meine Defekte zum Vorwurfmachen? Ich meine, sind
meine Fehler mein Fehler?« Schopenhauer schaut hoch zu ihm. »Guck mich nicht so
herablassend an«, sagt Oliver. »Hast du aus deinem Leben vielleicht etwas
besonders Aufsehenerregendes gemacht?«
    Dann sind
sie da. Bei dem kritzelgrauen Gebäude, in dem die Zeitung ein halbes Jahrhundert
lang zu Hause war und vor dessen gewaltiger Eichentür hastig rauchende
Mitarbeiter stehen. Oliver eilt an allen vorbei durch das Flügelportal und über
den ausgefransten burgunderroten Läufer zum Fahrstuhlkäfig. Oben erfährt er,
dass Kathleen und Abbey gerade weg sind. Zum Glück sind die meisten Redakteure
mit dem Zusammenbauen der Beiträge über einen Amoklauf an der Virginia Tech
beschäftigt. Nur ein paar versuchen, Oliver etwas über »die wichtige Ankündigung«
zu entlocken, die man ihnen versprochen hat. Bringt er gute Neuigkeiten? Oliver
sinkt der Mut, weil sie offenbar noch keine Ahnung haben. Er hält seine kalten
Hände zum Aufwärmen an Schopenhauers Fell. Der Hund leckt sie ab.
    Kathleen
kommt zurück, bugsiert ihn in ihr Büro und erklärt ihm, er werde die
Versammlung allein leiten müssen. Abbey kommt dazu und sekundiert Kathleen: Er
wird keinerlei Unterstützung bekommen.
    »Aber ich
kenne hier niemanden«, sagt er.
    »Ich mache
Sie bekannt«, erwidert Kathleen.
    »Und ich
habe keine Ahnung vom Mediengeschäft.«
    »Vielleicht
hätten Sie ein bisschen was lernen sollen«, sagt sie. »Sie sind seit zwei
Jahren hier.«
    Alle sehen
auf die Uhr: noch ein paar Minuten.
    »Tut mir
wirklich leid«, sagt Oliver, »das alles hier.«
    »Leid?«
Kathleen klingt höhnisch. »Hören Sie doch auf - Sie hätten es abwenden können.
Aber Ihnen ist ja alles egal.«
    »Nein,
nein, ist es nicht.«
    »Ach,
kommen Sie - Sie haben sich nicht die geringste Mühe gemacht. Die ganzen Jahre
hat die Zeitung irgendwie überlebt, unter Ihrer Leitung kommt das Ende. Ihr
Großvater hat das alles hier angefangen. Macht Ihnen das überhaupt nichts aus?
Er wollte eine Zeitung für die Welt auf die Beine stellen. Und die machen Sie
jetzt dicht.«
    »Aber ich
bin völlig ungeeignet für so was - die hätten mir die Leitung gar nicht geben
dürfen.«
    »Tja,
haben sie aber, Oliver. Haben sie. Und Sie haben angenommen.«
    »Aber ich
bin - ich bin defekt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich funktioniere nicht
richtig.« Er lacht nervös, wischt sich eine Strähne aus der pickeligen Stirn.
Er starrt die ganze Zeit nach unten auf Schopenhauer, die Frauen sieht er nicht
ein einziges Mal an. »Mir fehlt das richtige Chromosom oder so was.«
    »Lassen
Sie den Quatsch.«
    »Ich
glaube, wir müssen rein«, sagt Abbey.
    Oliver
will zur Tür, aber Kathleen bohrt ihm den Zeigefinger entgegen. »Den Hund
nehmen Sie nicht mit rein.«
    »Als
moralische Unterstützung, dachte ich.«
    »Auf gar
keinen Fall. Zeigen Sie wenigstens etwas Respekt.«
    Oliver
bindet Schopenhauers Leine an ein Bein von Kathleens Schreibtisch und krault
seinen Freund noch schnell. »Wünsch mir Glück.« Dann zieht er die Tür zu und
geht hinter Kathleen und Abbey her in den
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