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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom
Autoren: Die Unperfekten
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Henkersmahlzeit.«
    »Ah, ja«, sagt Menzies
vorsichtig. »Nur, sorry, wo ist der Nachrichtenwert?«
    »Ist keine Nachricht. Nur 'ne
kleine Reportage.«
    »Hast du noch was anderes?«
    Lloyd kratzt wieder auf dem
Block herum. »Wie wär's mit einem Stück übers Weingeschäft: In Frankreich wird
zum ersten Mal mehr Rose verkauft als Weißwein.«
    »Stimmt das?«
    »Ich glaube. Muss ich aber noch gegenchecken.«
    »Hast du auch was Aktuelleres?«
    »Den Ortolan willst du nicht?«
    »Ich glaube nicht, dass wir
dafür Platz haben. Der Tag ist ziemlich voll - vier Nachrichtenseiten.«
    Alle Medien, für die Lloyd
früher frei gearbeitet hat, haben ihn kaltgestellt. Er hat das ungute Gefühl,
dass ihn auch die Zeitung - sein letzter Strohhalm, sein letzter Auftraggeber
- loswerden will.
    »Du kennst ja unsere
finanziellen Probleme, Lloyd. Von Freien nehmen wir heute nur noch Sachen, bei denen's
einem die Kinnlade nach unten reißt. Was nicht heißen soll, dass deine Story
nicht gut ist. Ich meine einfach, Kathleen will nur noch Sachen, die Auflage
bringen. Terrorismus, Iran und Atom, Russlands neue Stärke - so Sachen. Alles
andere übernehmen wir inzwischen im Prinzip von Agenturen. Hat mit Geld zu
tun, nicht mit dir.«
    Lloyd legt auf und tritt wieder
ans Fenster. Er sieht hinaus auf die Häuser des sechsten Arrondissements,
regenscheckige weiße Wände und geborstene Traufen, abblätternde Farbe,
geschlossene Rollläden, unten angelehnt die Fahrräder der Bewohner, Lenker und
Pedale und Speichen, alles ineinandergerammt, oben drüber die Zinkdächer, die
Schornsteine mit den Kappen, aus denen weißer Rauch in den weißen Himmel
schnürt.
    Er geht zur Wohnungstür,
bleibt davor stehen, lauscht. Vielleicht kommt sie ja aus freien Stücken von
Didier zurück. Schließlich ist das hier ihr gemeinsames Zuhause, verdammt noch
mal.
     
    Zur Abendbrotzeit verlässt er
dieses Zuhause unter größtmöglichem Getöse, lässt die Tür gegen den Garderobenständer
poltern, simuliert auf dem Weg nach draußen einen Hustenanfall, damit Eileen
drüben auch wirklich mitkriegt, dass er sich auf den Weg zu einer Dinnerverabredung
macht, die es gar nicht gibt. Er will partout nicht wieder von Eileen und
Didier aus reiner Nächstenliebe zum Abendessen eingeladen werden.
    Um Zeit totzuschlagen, schlendert
er den Boulevard du Montparnasse entlang, kauft eine Schachtel Calissons für
seine Tochter Charlotte und geht wieder nach Hause, aber jetzt so verstohlen
wie vorhin geräuschvoll. Er hebt die Wohnungstür extra an, damit sie beim
Aufgehen nicht in den Angeln quietscht, und drückt sie sacht zu. Er lässt die
Lampe aus - Eileen könnte den Schein durch den Türspalt sehen - und fuhrwerkt
beim Licht aus dem offenen Kühlschrank in der Küche herum. Er macht eine Dose
Kichererbsen auf. Als er mit der Gabel hineinfährt, fällt sein Blick auf seine
rechte Hand, sie ist übersät mit Altersflecken. Er nimmt die Gabel in die linke
Hand und schiebt die hinfällige rechte tief in die Hosentasche, wo sie sich um
eine flache Lederbrieftasche schmiegt.
    Pleite war er schon reichlich
oft. Konnte Geld immer besser ausgeben als zusammenhalten. Für maßgeschneiderte
Hemden aus der Jermyn Street. Kistenweise Chateau Gloria 1971. Anteile an einem
Rennpferd, das einmal sogar fast Gewinn abgeworfen hätte. Spontane
Brasilientrips mit spontanen Affären. Taxis für jeden Weg. Er nimmt noch eine
Gabel voll Kichererbsen. Salz. Da fehlt Salz. Er streut eine Prise in die Dose.
    Als der Morgen graut, liegt er
unter mehreren Schichten aus Decken und Laken - die Heizung dreht er nur noch
auf, wenn Eileen da ist. Bei Charlotte wird er heute mal vorbeigehen, auch wenn
er keine große Lust dazu hat. Er wälzt sich auf die andere Seite, als wollte er
einen Schalter umlegen, von ihr auf seinen Sohn Jerome. Ein lieber Junge. Er
schaltet wieder zurück. Hellwach, hundemüde. Faul - er ist faul geworden. Was
ist passiert?
    Er zwängt sich aus den Decken
und geht bibbernd in Unterwäsche und Socken zum Schreibtisch. Er kramt grübelnd
in alten Telefonnummern - auf Hunderten von Zetteln, aufgestapelt, mit Tesafilm
oder Uhu zurechtgeklebt. Zu früh, um Leute anzurufen. Er muss grinsen bei
einigen Namen von ehemaligen Kollegen: Das war der Redakteur, der ihn fluchend
geschasst hat, weil er 1968 die ersten Pariser Straßenschlachten verpasst und
lieber besoffen mit einer Freundin in der Badewanne gelegen hatte. Hier, der
Büroleiter, der ihn 1974 einfach ins Flugzeug nach
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