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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom
Autoren: Die Unperfekten
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sich vieles ändern. Die Zeitung müsse dringend die
leeren Arbeitskabuffs wieder besetzen, neue Computer kaufen und die
Auslandsstellen aufstocken: Sie brauche jemanden in Shanghai, der Chinesisch
sprach, jemanden im Nahen Osten, der Arabisch sprach, und so weiter. Die
Gegenwart sei viel zu turbulent - der Krieg gegen den Terror, der Aufstieg
Asiens, die Klimaveränderungen - für einfache Reportagen über die Speckfalten
von Promis am Strand. »Die können wir getrost dem Internet überlassen«,
erklärte sie.
    Boyd sagte zu, und so zog
Kathleen zurück nach Rom und brachte ihren Stellvertreter aus der Innenpolitik
in Washington mit, Craig Menzies.
    Sie bekam schnell Grund zur
Sorge. Der Ott-Konzern zögerte trotz Boyds Zusage, Geld in ihre Vorschläge zu
investieren. Bald saß sie in der Klemme, die Etats wurden immer mehr
eingeschränkt, Boyd selbst ignorierte sie und überließ alles irgendwelchen
Unterlingen, vor allem der stets schwungbereiten Axt von Abbey Pinnola, der
Finanzchefin der Zeitung. Abbey verfügte als Erstes einen weiteren
Einstellungsstopp. Danach schaffte sie die Leistungszulagen ab. Und dann
forderte sie Entlassungen.
    Kathleen versuchte, den
Ott-Bossen Farbseiten und einen eigenen Internetauftritt abzuringen, und
hämmerte ihnen immer wieder ein, dass mehr Auslandskorrespondenten nötig seien.
Sie schmetterten jeden Antrag ab. Als sie versuchte, Boyd über private Kanäle
zu kontaktieren, erfuhr sie zum ersten Mal, wie krank er war.
    Er hatte Krebs, denselben, an
dem Ott senior gestorben war. Als Boyd die Diagnose erfuhr, verspürte er fast
so etwas wie Stolz: Er und sein Vater waren dadurch quasi Verbündete. Aber als die
Symptome schlimmer wurden, verflüchtigten sich solche Gedankenspielereien. Er
tobte vor Zorn auf all die Leute um ihn herum, die ihn überleben würden und das
überhaupt nicht verdient hatten - seine erwachsenen Kinder, die strunzdumme
Botschaften in ihre Handys tippten, Idioten, die keine Ahnung von gar nichts
hatten. Schließlich verließ ihn sogar der Zorn und machte tagelanger Düsterkeit
Platz. Sein Leben war verplempert, bloß zweite Garnitur neben dem seines
Vaters. Und keine Zeit mehr zum Ausbügeln.
    Als Vorstandschef hatte Boyd
den Konzern umgebaut. Reicher gemacht hatte er ihn nicht. Als er starb, war
die Firma nur noch ein Drittel so viel wert wie zu dem Zeitpunkt, als er sie
übernommen hatte.
    Keines seiner vier Kinder war
ein geeigneter Nachfolger. Sein ältester Sohn Vaughn war allseits unbeliebt,
seine beiden Töchter zwar intelligent, aber wild, und der Jüngste, Oliver, so
willensschwach, dass er freiwillig einen Vorstandsposten abgelehnt hatte.
    Das bedeutete aber nicht, dass
Oliver in Ruhe gelassen wurde. Er hatte sich die ganze Zeit um den kranken
Boyd gekümmert, und seine Geschwister hatten das unangenehme Gefühl, in seiner
Schuld zu stehen. Diese Verpflichtung wollten sie gern loswerden, deshalb
suchten sie nach einer Rolle für ihn. Der Ott-Konzern war weit genug verzweigt,
irgendetwas musste sich da anbieten. Wie wärs denn mit dieser Zeitung, die sie
da in Rom besaßen? Es konnte sich zwar niemand aus der neuen Generation mehr
erklären, warum der Großvater so eine Geldverbrennungsanlage überhaupt
aufgezogen hatte.
    Wahrscheinlich hatte er die
Bodenhaftung verloren. Aber jetzt kam ihnen die Zeitung gerade recht. Sie wäre
doch ideal für Oliver: praktisch stressfrei, denn schlimmer konnte es mit der
Zeitung kaum werden. Außerdem bot Europa Kulturgedöns, so was fand er doch
attraktiv. Er konnte in Rom in Opas leerer alter Villa wohnen. Wer weiß, am
Ende verblüffte er sie noch alle und riss sogar die Zeitung rum.
    Oliver hegte keine derartigen
Illusionen. Er wehrte sich gegen den Posten, erinnerte seinen Bruder und seine
Schwestern immer wieder daran, dass er von Geschäften keine Ahnung und kaum je
im Leben Zeitung gelesen hatte, außer um die Kunstmarktpreise im Auge zu
behalten. Vaughn erklärte, Geschäft sei Geschäft.
    »Aber ich habe keine Ahnung von
gar keinem Geschäft«, widersprach Oliver.
    »Dann lernst du's eben.«
    Als er nach Rom kam, war die
Zeitung in Aufruhr. Kathleen und Abbey stürzten sich auf ihn wie Eisbären auf
ein Walross. Er war schließlich ein echter, lebender Ott, und sie hatten ihn
jetzt bei sich. Ihre Forderungen ließen sich auf ein Wort, reduzieren: Geld.
Verärgerte Redakteure bestürmten ihn, protestierten gegen eingefrorene
Gehälter, drohende Kündigungen, den versifften Teppichboden (seit 15 (77 nicht
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