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Rachekind: Thriller (German Edition)

Rachekind: Thriller (German Edition)

Titel: Rachekind: Thriller (German Edition)
Autoren: Janet Clark
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hastete über den Flur zum Kinderzimmer.
    »Steve?«, rief sie, und ihre Stimme nahm einen unnatürlich hohen Klang an. Sie betrat den hell erleuchteten Raum. Lilou lag in ihrem Bettchen. Sie lief zu ihr. Alles war gut. Lilou schlief.
    Vor dem Bett blieb Hanna stehen. Etwas stimmte nicht. Das Kissen in ihren Armen fiel zu Boden, gespenstisch langsam, als bremse ein unsichtbarer Widerstand seinen Fall. Warum war Lilous Gesicht so bleich? Ihre Lippen bläulich? Warum hob und senkte sich der Brustkorb nicht bei jedem Atemzug? Hannas Mund öffnete sich zu einem Schrei, doch es kam nur ein ersticktes Ächzen heraus. Sie beugte sich über die Gitterstäbe, und ein Adrenalinstoß, so schmerzhaft, dass er ihr den Atem raubte, durchfuhr sie.
    »Nein!« Sie riss das leblose Kind aus dem Bettchen und fühlte seinen Puls. Doch sie war viel zu aufgeregt, um irgendetwas außer ihrem eigenen, rasenden Puls zu spüren. Sie lauschte auf Lilous Atemzüge und hörte nur das Rauschen in ihren Ohren. Mit aller Anstrengung unterdrückte sie die aufsteigende Panik und versuchte sich an die Übung aus dem Erste-Hilfe-Kurs für Säuglinge zu erinnern. Sie legte Lilou auf der Wickelkommode ab, überspannte den Hals und beatmete sie so vorsichtig, als wäre sie ein kleines Vögelchen, immer darauf bedacht, die Lunge nicht zu überblähen. Während sie mit zwei Fingern Lilous Herz sanft massierte, hämmerte sie gleichzeitig mit dem Fuß wie verrückt auf den Boden und hoffte verzweifelt, dass Britt in der Wohnung unter ihr reagieren würde.
    * * *
    Was macht Mami?
    Sie versucht dich zurückzuholen, Prinzessin.
    Hannas Angst färbt die Nebelschwaden um sie herum tiefrot. Ich sehe die Panik in ihren Augen, spüre die Verzweiflung, wenn sie die Luft einsaugt, um sie dann in kleinen Stößen in Lilous Lungen zu pressen. Sie hebt Lilou von der Kommode hoch und läuft mit ihr zur Tür, ohne mit der Beatmung aufzuhören. Sie öffnet die Tür, und jemand tritt ein in den blutroten Nebel, der immer dichter wird, sodass ich nichts erkennen kann. Selbst Hanna verschwindet langsam darin. Ich weiß, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt, bevor ich den Kontakt zu ihr verlieren werde.
    Geh zurück, Prinzessin, geh zurück. Ich brauche dich dort.
    Kommst du mit?
    Für mich ist es zu spät.
    Dann bleibe ich bei dir.
    Nein, das darfst du nicht. Du musst zurück. Du musst vollenden, was ich nicht geschafft habe. Mami ruft nach dir, hörst du sie nicht?
    Hanna ist fast vollständig im Nebel verschwunden. Ich strenge mich an, doch ich dringe nicht mehr bis zu ihr durch.
    Und du?
    Ich werde bei dir sein, Prinzessin, jede Minute, jede Sekunde. Ich werde immer bei dir sein.
    Die Farbe des Nebels verändert sich, er lichtet sich. Als wäre es mein eigenes, spüre ich das zaghafte Schlagen von Lilous Herz und begreife, dass es ganz und gar nicht vorbei ist. Dass ich eine zweite Chance bekommen habe. Dass es erst vorbei sein wird, wenn ich getan habe, was ich tun muss.

Samstag, 14. Mai

1
    Wie benommen saß Hanna auf einer der Bänke des noch menschenleeren Krankenhausvorplatzes. Zum hundertsten Mal wählte sie Steves Nummer. Zum hundertsten Mal hörte sie die Ansage, dass der Teilnehmer nicht erreichbar sei. Sie schluchzte laut auf. Steve! Wo bist du nur?
    Ihr Verstand versuchte zu begreifen, was geschehen war, was gerade geschah.
    Atemstillstand.
    Wiederbelebung.
    Zu wenig Sauerstoff im Gehirn.
    Intensivstation.
    Hochrisikopatient.
    Wird sie überleben? Wird sie Schäden davontragen? Wie hatte das passieren können? Lilou war nicht krank. Sie war aus dem Risikoalter für plötzlichen Kindstod bereits heraus.
    Wo war Steve?
    Fragen. So viele Fragen.
    Keine Antworten.
    Sie musste an etwas anderes denken, so konnte sie nicht auf die Intensivstation zurückkehren. Durch den Tränenschleier betrachtete sie das Gebäude der Universitätsklinik. Im leichten Morgennebel lag es gespenstisch vor ihr, und die blutroten Gerüste und silbrig schimmernden Rohre, die sich kreuz und quer über die Fassade zogen, gaben Hanna das Gefühl, in einem Science-Fiction-Film mitzuspielen. Es musste ein Traum sein. Ein schrecklicher Traum, der sie gefangen hielt, ihre Glieder lähmte und sie daran hinderte, einfach aufzuspringen und davonzulaufen. Einfach davon. Kilometer um Kilometer. Zurück in die Wirklichkeit, wo Steve und Lilou auf sie warteten.
    »Frau Warrington?«
    Hanna drehte den Kopf, als eine männliche Stimme zum zweiten Mal ihren Namen rief. Sie fröstelte. Noch immer trug sie das
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