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Racheakt

Racheakt

Titel: Racheakt
Autoren: F Steinhauer
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aufregend war und an den letzten, weil die Polizei sie praktisch unmittelbar danach verhaftet hat. Unfassbar war für mich während der Begutachtung, dass sie auch zwölf Jahre nach ihrer Verurteilung nicht verstand, warum es schlecht gewesen sein sollte, das Leiden der armen Menschen zu verkürzen.«
     
    »Mein« Pfleger hat allerdings nicht in jedem Fall das Leiden seiner Patienten verkürzt!«, begann Dr. Mütze erneut. »Bei einigen hat er die Leiden durchaus zunächst einmal verschlimmert. So ersetzte er das Morphin durch Kochsalzlösung. Natürlich hatten die Betroffenen dadurch schreckliche Schmerzen, die angeblich auch durch die Gabe der Morphine nicht gelindert werden konnten. Dabei hat der Pfleger ungerührt zugesehen. Der Staatsanwalt möchte nun von mir wissen, ob in diesem Fall eventuell eine ausgeprägte sadistische Veranlagung vorliegt. Nach einigen Tagen mit unglaublichen Schmerzen hat er seine Patienten dann in der Regel »entkoppelt«, wie er das nennt.«
     
    »Sadismus? Ja, hatten denn seine Arbeitskollegen den Eindruck, er weide sich an den Qualen seiner Patienten, empfinde klammheimliche Freude?«, hakte Dr. Lund nach.
    »Nein. Wohl eher nicht. Sie schildern ihn als sehr empathisch. Eine Schwester meinte sogar, er habe auffällig mitgelitten, den Betroffenen intensiv betreut und sich rührend um die Angehörigen gekümmert.«
    »Dann war es vielleicht das Motiv der Motive – der Mann wollte geliebt werden.«
    »Tote können niemanden mehr lieben, Frau Dr. Jung!«
    »Tote nicht – aber die Hinterbliebenen, um die er sich so verständnisvoll kümmerte, die Leidenden, denen er vorgaukelte, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um ihre Schmerzen zu lindern – alle Betroffenen sahen nur sein emsiges Bemühen und liebten diesen engagierten Mann dafür. Bestimmt haben die Hinterbliebenen den Pfleger anderen gegenüber oft lobend erwähnt.«
    »Gut – das werde ich überprüfen.«
     
    Dr. Zimbalist räusperte sich.
    »Ich hatte vor einigen Jahren einen ähnlichen Fall zur Begutachtung. Eine junge Krankenschwester. Sie verabreichte einigen ihrer Patienten Emetika und Laxantien. Setzte die Wirkung ein, so holte sie bereitwillig Wärmflaschen gegen die Bauchkrämpfe, Zwieback, feuchte Tücher um das Gesicht zu reinigen etc. Das ganze Ausmaß ihrer Umtriebe wurde erst entdeckt, als zwei der Patienten unerwartet verstarben. Bei der polizeilichen Vernehmung ergab sich das Bild einer Frau, die alles daransetzte wenigstens für einige Menschen kurze Zeit wichtig zu sein. Ursache für diese Fehlentwicklung war eine traumatische Kindheit, mangelnde Liebe und Geborgenheit.«
     
    Wessen Kindheit war schon perfekt, überlegte Helge Jung, wie sollte solch eine perfekte Kindheit überhaupt aussehen? Wahrscheinlich gab es dieses Ideal gar nicht, schließlich gehörten Versagungen auch zum Leben dazu – und mochten sie nun gerechtfertigt sein oder nicht. Und wie die Kinder retrospektiv das Verhalten ihrer Eltern beurteilen, als wie gravierend sie ihre Erziehungsfehler ansehen würden, war für Eltern in der konkreten Situation gar nicht absehbar.
     
    Und manchmal werden aus behüteten, wohl erzogenen Kindern eben Mörder, konstatierte sie emotionslos und beschloss doch noch ein Glas Wein zu bestellen. Weißwein. Das Thema war schließlich blutig genug.

48
    »Zugriff!«
    Wie ein Peitschenknall schoss das elektrisierende Wort durch die Kopfhörer der Beamten.
    Sie hatten den dunklen, hochbeinigen Geländewagen schon seit ein paar Minuten fest im Visier und nun pirschte sich das SEK entschlossen näher ran.
    Die Gestalt hinter der Seitenscheibe war nur schemenhaft zu erkennen – das Wageninnere war in gespenstisch blassblaues Licht getaucht.
    Falko König war aufgeregt. Er konnte sein Herz bis unters Kinn schlagen spüren. Seine Muskeln waren so angespannt, dass sie schmerzten und seine Knie zitterten leicht. Jetzt – in dieser Sekunde würden sie das brutale Mörderschwein schnappen! Endlich! Es würde keine weitere verstümmelte Frauenleiche mehr geben!
    Wie lange hatte er schon auf diese Gelegenheit gewartet, sein Können und seinen Mut unter Beweis zu stellen. Falko König dachte an die unzähligen Demütigungen, die er über sich ergehen lassen musste, nachdem ihm beim Auffinden einer Leiche so übel wurde, dass er sich übergeben musste und er in Tränen ausgebrochen war. Natürlich hatte das ganz schnell die Runde unter den Kollegen gemacht – und obwohl der Leiter ihrer Gruppe, Julius
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