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Rache an Johnny Fry

Rache an Johnny Fry

Titel: Rache an Johnny Fry
Autoren: Walter Mosley
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YORK gedruckt war. Den Beutel gab er mir.
    »Danke.«
    »Danke.«
    Ich trat aus der Tür ins helle Sonnenlicht und sah mich unauffällig um, weil ich befürchtete, es könnte mich jemand beim Verlassen des Sexshops beobachtet haben. Aber niemand sah zu mir herüber, weder die Hausfrauen noch die Kinder, die gerade aus der Schule kamen, weder der Obdachlose, der um Kleingeld bettelte, noch die französischen Touristen, die ihren Stadtplan studierten.
    Niemand sah die dreifach verpackte Sisypha-Sage an meiner linken Hand baumeln, derselben Hand, die auch die Aktentasche voller Fotos von sterbenden afrikanischen Kindern hielt.
    An der 18. Straße betrat ich den Schnapsladen Dionysus’s Bounty.
    »Haben Sie Cognac?«, fragte ich den düster dreinblickenden Verkäufer.
    »Was für einen wollen Sie?«, antwortete der Mann mit spöttischer Miene.
    »Welcher ist gut?«
    »Wie viel wollen Sie anlegen?«
    »Hundert Dollar?«, schlug ich vor, und er lächelte. Wahrscheinlich gehörte ihm der Laden selbst.
    Er verschwand im Hinterzimmer, und ich stand da und dachte einen Moment lang nicht an Jo und Johnny. Aber dann quietschte irgendwo eine Tür oder etwas anderes, und ich hörte Jo wieder, wie sie den weißen Mann mit dem roten Kondom »Daddy« nannte.
    Daddy.
    »Das hier ist der beste, den ich habe«, sagte der Besitzer. »Er kostet hundertachtzig Dollar, ist aber auch achtzig Jahre alt und weich wie die Haut eines jungen Mädchens.«
    Ich bezahlte bar.
    Nein, ich brauchte keine Tüte, sagte ich, legte meine Aktentasche auf die Ladentheke und öffnete sie. Ich schob den I LOVE NEW YORK-Beutel in eines der Fächer und wollte gerade auch die Flasche hineinstecken, als der Schnapsverkäufer eine Hand hob.
    Ich dachte, er wollte etwas zu der DVD sagen, aber stattdessen deutete er auf eine von Lucys Fotografien, die aus ihrer blauen Mappe hervorlugte.
    Ich zog das oberste Bild heraus, auf dem ein sehr dunkelhäutiges, vielleicht acht Jahre altes Kind zu sehen war. Es war ein Mädchen, unglaublich dünn, die Stirn voller Wunden, an denen dicke Fliegen saugten.
    »Was ist das?«, fragte der Mann.
    Erst jetzt sah ich ihn genauer an. Er war weiß, und sein schütteres graues Haar ließ an einigen Stellen die rosafarbene, sommersprossige Kopfhaut durchschimmern. Er mochte sechzig sein und war früher einmal ein kräftiger Kerl gewesen. Das sah ich an seinen muskulösen Unterarmen und der Größe seiner Hände.
    »Ein Mädchen im Sudan«, sagte ich. »Da ist Krieg. Tausende sterben.«
    »Ist das lange her?«, fragte er, vielleicht ein wenig hoffnungsvoll.
    »Nein. Jetzt. Heute«, erklärte ich ihm.
    »Wie können Menschen sich so etwas antun?«, sagte er. »Das sind Ungeheuer.«
    Ich nickte, legte das Bild zurück in die Mappe und schloss die Aktentasche. Auf dem Weg nach draußen fragte ich mich, wen er da wohl verdammte.
    Bis zu meiner Wohnung in Tribeca war es ein weiter Weg. Als ich die Canal Street an der Ecke Washington überquerte, fiel mir ein, wie Joelle mir erklärt hatte, dass wir in der perfekten Entfernung voneinander wohnten.
    »Auf die Weise ist die Anwesenheit des anderen nie selbstverständlich«, sagte sie. »Wir müssen etwas dafür tun, zusammen zu sein.«
    Vielleicht ging das mit Johnny Fry damals schon. Aber nein. John Fry kam später. Sie hatte ihn auf einer Party bei Brad Mettleman in dessen Wohnung in Brooklyn Heights kennengelernt. Brad nannte es eine Gartenparty. Ich war eingeladen, weil ich eine Reihe Briefe übersetzt hatte, die er im Laufe des letzten Jahres aus Spanien und Paris bekommen hatte. Jo hatte ich mit zur Party gebracht, weil ich sie überallhin mitnahm. Zu Anfang unserer Beziehung hatte sie mir erklärt, sie müsse zwar nicht verheiratet sein oder mit jemandem zusammenleben, wolle sich aber nicht außen vor fühlen.
    Johnny war auch da. Ich kannte ihn bereits. Er hing eine Weile bei Brad herum, und so traf ich ihn des Öfteren. Er hatte einen von Brads Fotografen trainiert, einen gewissen Tino Martinez, im Crunch Gym. Johnny war angehender Musiker und Tinos Vater Musikproduzent, allerdings in Argentinien. Vater Martinez brachte Johnny mit einem Musiklabel in Chicago zusammen, das Popjazz produzierte, und obwohl Johnny eigentlich klassische Gitarre spielte, schien Sun and Moon Records, so hieß das Label, ein erstes Album mit ihm machen zu wollen. Das Ganze klappte dann nicht, wie ich mich erinnerte, und Johnny versuchte sich mittlerweile darin, Volkskunst zu importieren.
    Auf der Party lag er Jo
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