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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Autoren: Markus Kammer
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verlegen. Sie versuchte eine harmlosere Frage zu stellen.
    „Hast du als Kind auch mit dem Grubenmann im Sandkasten gespielt?“
    „Ich?“, fragte er überrascht. „Wie kommst du denn darauf?“
    „Nada sagt, dass alle antolianischen Kinder mit dem Grubenmann spielen. Aber er meinte auch, du magst das Märchen nicht und hältst den Grubenmann für einen Trottel.“
    „Ja, das stimmt.“
    „Aber wir sind doch jetzt in einer ähnlichen Situation“, sagte sie. „Jeder Weg führt in die Irre und wir alle könnten dem Tod in die Arme laufen. Da ist es doch tröstlich zu glauben, dass sich alles noch zum Guten wenden kann. Ganz plötzlich, so wie beim Grubenmann.“
    „Er hat unverschämtes Glück gehabt. Ich werde nie verstehen, warum die Leute ihre Hoffnungen an so einen Narren knüpfen. Wenn ihm das Gleiche ein zweites Mal passiert wäre, hätte er es nicht geschafft.“
    „Aber an Wunder glaubst du doch?“
    „Manchmal passieren Dinge, die man nicht vorhersehen konnte. Im Guten wie im Schlechten.“
    Es war nicht einfach, die Fischbällchen zum Mund zu führen, ohne sich mit Joghurtsoße zu bekleckern. Schon gar nicht, wenn ihr Anbar dabei zusah. Vielleicht bemerkte er ihre Notlage, denn er wandte jetzt den Blick ab und schaute über den See.
    „Erzähl mir ein bisschen aus deinem mehrtausendjährigen Leben. War es auf der anderen Seite einfacher, ein Rabe zu sein?“
    „Es war einfacher, aber es hat keinen Spaß gemacht“, sagte sie. „Die Altjas lehren Entsagung. Alles, was wir können, dürfen wir nicht tun. Weil es gefährlich für die Welten ist und gefährlich für uns selbst. Nur die Altjas dürfen fliegen und die Welten wechseln und Geheimnisse erforschen, weil sie weise sind. Sie haben uns gesagt, dass wir eines Tages auch Altjas werden, wenn wir genug gelernt haben, aber eigentlich haben wir nie etwas gelernt. Ich glaube, dass Niko recht hatte. Er hat immer vermutet, dass für uns keine Erleuchtung vorgesehen ist.“
    „Welche Ziele haben die Altjas verfolgt? Wollten sie etwas herausfinden oder erreichen?“
    „Es hieß, dass ein Altja, der die vollkommene Weisheit erlangt hat, allmächtig wird und sich in dieser Allmacht auflöst. Ich weiß aber nicht, ob es jemals einer geschafft hat. Sie haben uns auch nicht viel verraten von dem, was sie so getrieben haben.“
    Er dachte nach, jedenfalls blieb sein Blick nun sehr nachdenklich an ihrem letzten Fischbällchen hängen.
    „Ihr wart nicht frei?“
    „Nein. Wir konnten uns nicht aussuchen, wo wir leben und wie wir leben. Mit normalen Menschen durften wir nicht reden. Wir lebten außerhalb der Städte, wo kein anderer leben wollte. In Zelten oder Blechhütten oder Wohnwagen. Wir waren immer arm. Es könnte aber sein, dass sie Niko in die schlimmsten Siedlungen gesteckt haben, weil er so schwierig war. Er hat immer rebelliert. Im Gegensatz zu mir. Ich war brav und habe den Altjas jedes Wort geglaubt. Das gefällt mir nicht. Niko hat die bessere Figur gemacht.“
    „Wie kam es, dass er sich in Sommerhalt besser verstecken konnte als du?“
    „Er hat …“ Elsa brach ab. Fast hätte sie Carlos erwähnt. „Er wusste, wie man es macht. Er hat sich an den Altja-Unterricht erinnert. Ich war jünger und ohne ihn ahnungslos.“
    „Darf ich dir eine blöde biologische Frage stellen?“
    „Ja?“
    „Wenn zwei Raben Kinder bekommen, sind diese Kinder vermutlich keine Raben, sondern ganz normale Menschen?“
    „Ja. Es vererbt sich nicht.“
    „Was habt ihr denen dann erzählt?“
    „Gar nichts, sie wurden ausgesetzt.“
    „Ausgesetzt?“ Er sah so verstört aus, wie es sich für einen familienwütigen Antolianer gehörte. „Eure eigenen Kinder?“
    „Nicht wir, die Altjas haben es getan. Sie haben sie normalen Menschen vor die Tür gelegt, die sie für geeignet hielten. Dafür haben sie Rabenkinder gestohlen, die irgendwo in normalen Familien aufgetaucht sind. Die durften wir dann ab und zu aufziehen, aber das kam selten vor.“
    „Und das hast du alles mitgemacht, weil du so brav und angepasst warst?“
    „Ja.“
    „Meine Güte!“
    „Willst du dir diesen Teller mit Fischsoße mal aus der Nähe ansehen?“, fragte sie drohend. Es war ernst gemeint.
    „Was wäre passiert, wenn ihr weggelaufen wärt?“
    „Sie hätten uns überall gefunden und dann ins nächste Leben geschickt. Das kam öfter vor. Niko hat dafür gesorgt, dass wir selten alt geworden sind.“
    Er nahm den Teller mit der Fischsoße und schob ihn vorsichtshalber weit
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