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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Autoren: Markus Kammer
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weg.
    „Dein Verlobter hat eine Menge auf dem Kasten.“
    „Möchtest du ihn heiraten? Ich würde ihn dir überlassen.“
    Er reichte ihr die süßen Brotas.
    „Iss lieber noch was“, sagte er. „Es hat so etwas Gemütliches, wenn du das Essen in dich hineinstopfst.“
    „Ich habe seit einer Woche so gut wie nichts gegessen.“
    „Du bist ja auch gerade erst von den Toten auferstanden. Damit hast du mich verblüfft und gerettet.“
    „Gerettet?“
    „Ja, ich hätte dein Ende nicht gut verkraftet. Zumal ich dachte, dass du Seelenqualen erleiden musstest, aber zum Glück wirkst du einigermaßen unversehrt.“
    Das leckere Brota in ihrem Mund fühlte sich plötzlich trocken an.
    „Ich will’s gar nicht wissen, ob ich versehrt bin oder nicht“, sagte sie, nachdem sie den Bissen heruntergewürgt hatte. „Es war eine Verwandlung wie andere auch, aber seltsamer. Wenn man mich auseinandernimmt, bestehe ich aus einem Haufen zerlegter Leben und die halten nicht still. Sie sausen und kreiseln um mich herum und ich verstehe gar nicht, was los ist. Das Komische daran ist …“
    Sie starrte vor sich auf den Tisch und fühlte sich entmutigt angesichts dessen, was sie gerade dachte und aussprechen wollte.
    „Ja?“, fragte er. Er lehnte sich über den Tisch zu ihr vor und wartete.
    „In der Mitte ist nichts“, sagte sie und sah ihn an. „Das, was ich eigentlich bin, und was von Leben zu Leben geht, ist nichts. Die Leben kann man sehen, sich daran erinnern, etwas fühlen, aber einen Kern, die Seele, von der du denkst, das sie Qualen erlitten hätte … ich glaube, die gibt es nicht.“
    Das war eine grausame Feststellung, fand Elsa, aber auf Anbars Gesicht löste sie ein Lächeln aus.
    „Wie deine Augen“, sagte er. „Da ist auch nichts, wo etwas sein sollte.“
    „Aber das ist doch schrecklich!“
    Er schüttelte den Kopf.
    „Ich glaube nicht an den dummen Grubenmann, aber ich glaube an deine Augen. Du solltest sie mehr schätzen.“
    „Es freut mich, dass du sie schätzt“, sagte Elsa und dabei fühlten sich ihre Wangen glühend heiß an. „Trotzdem sind sie für meinen Geschmack zu leer.“
    „Sie sind nicht leer. Was in ihnen steckt, ist nun mal nicht fassbar für den menschlichen Verstand. Ich könnte mir vorstellen, dass es das ist, wonach die Altjas streben. Dass sie versuchen, das Unfassbare, das in deinen Augen und euren Leben steckt, zu begreifen. Es hat mit dem zu tun, was vor dem Anfang und nach dem Ende ist. Für uns Menschen ist die Zeitspanne zwischen Anfang und Ende die einzige Wirklichkeit. Für dich ist sie es gerade auch, da du im Moment ein Mensch bist. Dein Inneres muss dir unter diesen Voraussetzungen unwirklich erscheinen und das ist ein Widerspruch, der sich wahrscheinlich nicht vermeiden lässt. Aber da diese merkwürdige Dunkelheit oder das Nichts, das ich in deinen Augen sehe, nicht aufhört, mich zu faszinieren, kannst du davon ausgehen, dass es weit mehr ist als das Gegenteil von Etwas. Ich glaube, dass die Welt einfach stehen bleiben und grau werden würde, wenn es dieses Nichts nicht gäbe. Deine Brotas würden den Geschmack verlieren und die Sterne über uns nicht mehr leuchten. Du kannst darauf vertrauen, dass das Nichts in dir alles bedeutet. Auch wenn du es nicht verstehst.“
    Sie schaute in den Himmel, um zu sehen, ob die Sterne wirklich noch taten, was sie sollten. Es sah ganz danach aus: Sie leuchteten, sie waren schön, sie machten den Himmel groß und tief.
    „Du hättest ein Rabe werden sollen“, sagte sie. „Du kannst mehr damit anfangen als ich.“
    „Nein, ich wäre überfordert. Ich finde mein endliches Leben schwierig genug. Wenn es unendlich wäre, würde ich mich aufgeben und als Wurm in der Erde verkriechen, in der Hoffnung, dass ich mich selbst vergesse.“
    „Das würdest du nicht.“
    „Oh doch, ich kann das. Unterschätze nicht meinen Hang zur Flucht.“
    „Aber du musst gar nicht fliehen“, sagte sie. „Niemand verfolgt dich.“
    „Kein Mensch, aber die Umstände. Wenn ich nicht ständig auf der Flucht wäre, wären wir uns nie begegnet.“
    Das sagte er so rätselhaft und sie verstand nicht, wie er es meinte. Bevor sie nachfragen konnte, zeigte er auf ihren Teller.
    „Iss!“, forderte er sie auf. „Oder bist du auf einmal satt?“
    Sie hatte keine Ahnung. Um es herauszufinden, biss sie in ihr Brota und stellte fest, dass es weich und knusprig war.
    „Ich wollte dich noch um einen Gefallen bitten“, sagte er. „Dich und deinen Freund
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