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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger
Autoren: Silvia Roth
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bewegte, und warf sich instinktiv zu Boden. Der Schuss hallte in ihrem Ohr wider, als sie direkt auf ihre verletzte Schulter krachte, und für einen flüchtigen Augenblick hatte sie das Gefühl, etwas zerplatze. Dann feuerte sie, ohne lange nachzudenken, in die Dunkelheit, aus der sie gekommen war. Dreimal. Viermal. Die Schüsse schienen kein Geräusch zu haben, und Winnie Heller hob erschreckt die Hand an den Kopf. Ich bin taub, dachte sie. Ich werde nie wieder hören können. Sie tastete nach Blut, das aus ihrer Ohrmuschel rann, aber sie konnte nichts Feuchtes entdecken. Nur diese seltsam wattige Stille, die ihren Schüssen gefolgt war.
    Wo ist er?, dachte sie. Wo ist dieser verdammte Scheißkerl hin?
    Sie zuckte erschreckt zurück, als ihr Knie gegen einen Widerstand stieß, aber es war nur eine Holzbank. Die linke von zweien, die vor den Spinden standen. Sie robbte daran vorbei, bis ihre Finger rostiges Metall zu fassen bekamen. Keine dauerhafte Lösung, aber immerhin ein Anfang! Sie zog sich um die Ecke und presste den Rücken gegen den Schrank, dann hob sie die Waffe vor sich, um sofort reagieren zu können.
    In ihrem Ohr war ein Ton, den sie merkwürdig fand, ein leises, helles Summen, das wie ein hauchzarter Vorhang zwischen ihr und den Geräuschen ihrer Umgebung schwebte. Aber dieser Vorhang schien allmählich löchrig zu werden, und die Stille ringsum gewann wieder vorsichtige Konturen. Da war ein Stöhnen, das sie nicht einordnen konnte. Und auch etwas, das wie eine Sirene klang.
    Sie kommen!, fuhr es ihr durch den Sinn. Deine Kollegen sind schon unterwegs. Wenn du nur noch ein paar Minuten durchhältst, sind sie da!
    Aber wo war Laurin? Hatte sie ihn vielleicht doch erwischt? Lag er irgendwo dort drüben, im Dunkeln, außer Gefecht gesetzt, schachmatt, am Ende gar tot? Oder plante er schon wieder die nächste Falle, den nächsten Hinterhalt?
    Sie kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf das ferne Mondlicht, das durch die Schießscharten unter der Decke herein sickerte. Wenn er noch hier wäre, hätte er längst geschossen, dachte sie. Wenn er noch hier wäre … Sie fuhr zusammen, als vom Gang urplötzlich Licht hereinfiel. Mehr Licht. Künstliches Licht. Dann Stimmen. Mehrere. Männlich.
    »Winnie?«
    Verhoeven!
    »Winnie! Wo sind Sie?«
    Ich kann ihn hören!, dachte sie, indem sie wieder nach ihrem Ohr fasste. Es ist noch heil, funktionstüchtig! »Ich bin hier.«
    Sie sah seinen Schatten im hell erleuchteten Viereck der Tür. Dann kniete er bereits neben ihr.
    »Sind Sie verletzt?«
    »Ich … Ich glaube nicht.«
    Der Strahl seiner Taschenlampe glitt über ihr Gesicht, aber er schien nichts zu finden, das versorgt werden müsste. Etwas, das sie freute.
    »Was ist mit Laurin?«, fragte sie, und ihre Stimme klang, als gehöre sie nicht zu ihr.
    »Ist uns direkt in die Arme gelaufen«, antwortete er mit einem leisen Lächeln. »Sie haben ihn an der Schulter erwischt.«
    Sie nickte, als ihr Sven Strohte einfiel. Doch als sie hochsah, bemerkte sie, dass Verhoeven ihn bereits entdeckt hatte. Er stand ganz hinten, hinter dem letzten Spind, und lächelte ihr zu.
    »So wie’s aussieht, können Sie doch noch an Ihrem Wettbewerb teilnehmen«, scherzte sie.
    »Wenn ich mich jetzt richtig reinhänge«, entgegnete er ernsthaft.
    Winnie Heller sah wieder ihren Vorgesetzten an und wartete darauf, dass er sie rügen würde. Dass er ihr etwas über Befehlsverweigerung und Gehorsam erzählte. Dass er sie anbrüllte und sagte, jetzt könne sie ihre Verbeamtung getrost und ein für alle Mal vergessen. Doch Verhoeven tat nichts dergleichen. Er streckte ihr einfach die Hand entgegen und half ihr auf die Füße.
    Dann verließen sie Seite an Seite den Raum, in dem Nikolas Hrubesch gestorben war.

 
     
    Epilog

 
    Verhoeven schlüpfte in seine ältesten Jeans und dachte an Dominik Rieß-Semper.
    »Ich hab eine neue Hose an, und die darf ich leider nicht dreckich machen«, ahmte er das glockenhelle Knabenstimmchen seines fünfjährigen Rivalen nach, während er sich missmutig im Spiegel betrachtete. »Aber in meinem niedlichen kleinen Matrosenpullöverchen sehe ich aus wie von Hummel.«
    Bitte, Hendrik, flehte eine imaginäre Silvie, finde dich endlich mit Ninas Wahl ab und versuch, ein halbwegs vernünftiges Verhältnis zu Dominik aufzubauen, ja? Aus irgendeinem unerfindlichen Grund bewundert dich dieser arme Junge nämlich, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest.
    Verhoeven schenkte seinem Spiegelbild
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