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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger
Autoren: Silvia Roth
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die Feiernden, deren Gesichter im flackernden Licht vor ihr aufblitzten wie Fratzen in einer Geisterbahn, um gleich darauf wieder zu verlöschen, spurlos, als habe es sie nie gegeben. Wenigstens bin ich gut vorbereitet, dachte Winnie Heller. Und das stimmte. Sie hatte sich nach Dienstschluss stundenlang in Bibliotheken herumgetrieben, Lexika gewälzt und Bücher über antike Kunst gelesen, insbesondere über die Kultur der Thraker, aus deren Grabanlagen ein Großteil der geraubten Kunstgegenstände stammte. Sie hatte erfahren, dass das antike Volk bereits in der »Ilias« von Homer erwähnt wurde und dass erst vor wenigen Wochen eine Goldmaske aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert in der Nähe der bulgarischen Stadt Sliwan gefunden worden war. Und das alles, obwohl die Frau, für die sie sich ausgab, nach Auerbachs Vorstellung nichts als eine bauernschlaue Banausin war, die sich des Wertes der Gegenstände, die angeblich allein durch einen glücklichen Zufall in ihren Besitz gelangt waren, wenn überhaupt nur schemenhaft bewusst war. Aber Winnie Heller hatte es nun einmal für unabdingbar gehalten, zu wissen, worum es in diesem Fall eigentlich ging. Vorausgesetzt natürlich, dass es überhaupt um etwas gehen würde …
    Ihre Augen suchten das Ziffernblatt ihrer Uhr. Wo blieb ihr Kontaktmann?
    Sie warf in vorgetäuschter Langeweile den Kopf zurück und spähte wieder Richtung Eingang. Der Mann, mit dem sie verabredet war, nannte sich Heino. Ob er tatsächlich so hieß oder einfach Sinn für Humor hatte, wusste sie nicht. Vorhin am Telefon hatte er nachdrücklich auf diesem Klub als Treffpunkt bestanden, obwohl Winnie Heller eine Zusammenkunft in einem weniger hektischen und somit besser zu überwachenden Umfeld tausendmal lieber gewesen wäre. Aber nachdem der Mann, der sich Heino nannte, auf entsprechende Vorschläge ihrerseits mit keiner Silbe eingegangen war, hatte sie nicht gewagt, länger auf einem anderen Ort für ihr Treffen zu beharren. Sie wusste, sie durfte ihn auf keinen Fall misstrauisch machen.
    Wenn alles nach Plan lief, würde er jeden Augenblick auftauchen, ein paar freundliche Worte mit ihr wechseln und sie anschließend irgendwohin führen, wo er sich in aller Ruhe das Schmuckstück ansehen konnte, das sie, stilvoll eingewickelt in ein ungebügeltes Herrentaschentuch, in der puppigen Kroko-Imitat-Handtasche herumtrug, die ebenfalls zu ihrer Verkleidung gehörte. Von Zeit zu Zeit tastete sie nach den kunstledernen Bügeln auf dem Stuhl neben sich, weil sie der festen Überzeugung war, dass das naive Blondchen, das sie verkörperte, sich unter Garantie hin und wieder vergewissern würde, ob der Schatz, der ihrem zu häuslichen Handgreiflichkeiten neigenden Macker eine hübsche Stange Geld einbringen sollte, noch immer an seinem Platz war.
    Winnie Heller griff wieder nach ihrer Cola.
    Was ihr Sorgen bereitete, war vor allem die Möglichkeit, dass jemand sie erkannte. Immerhin hatte sie während ihrer Zeit bei der Drogenfahndung ein paarmal im Rhythm’s Cube zu tun gehabt, auch wenn sie damals nicht viel mehr als Paul Cartiers Mädchen für alles gewesen war. Das unsichere junge Ding im Schatten eines dominanten Ober-Machos, das vermutlich niemand auch nur zur Kenntnis genommen hatte. Aber man konnte schließlich nie wissen, wer einem an so einem Abend alles über den Weg lief!
    Nichtsdestotrotz hatte Winnie Heller ihre diesbezügliche Vorbelastung bei der Planung des Einsatzes geflissentlich für sich behalten, weil sie nicht hatte riskieren wollen, dass ihr der Auftrag, auf den sie von Beginn an so scharf gewesen war, wieder entzogen wurde. Das Ergebnis war, dass sie litt. Und mit jeder Minute, die verstrich, litt sie mehr. In ihrem rechten Bein liefen ganze Armeen von Ameisen auf und ab, und es kostete sie erhebliche Mühe, es still zu halten. Gelassen zu bleiben. Zumindest äußerlich. Aber sie durfte um Himmels willen nicht zu nervös wirken!
    Die Frau, die du verkörperst, ist nichts weiter als das willige Werkzeug eines brutalen Kleinkriminellen, rief sie sich zum wiederholten Mal an diesem Abend ins Gedächtnis. Ein halbseidenes Flittchen, dessen letztes bisschen Temperament in einer katastrophalen Ehe mit einem eifersüchtigen Bulgaren untergegangen ist und das nun alles daransetzt, seinem Göttergatten und dessen Landsleuten einen neuen Markt zu erschließen, um vielleicht einmal wieder eine Woche in Urlaub fahren zu können. Einen Pelzmantel für den Winter abzustauben. Oder doch
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