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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger
Autoren: Silvia Roth
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Schimmel hielt, und Ton …
    Ton?
    Winnie Heller verlangsamte ihren Schritt, als neue Bilder in ihr heraufdämmerten. Ein Werkraum. Fleckige Holztische. Sägespäne. Mit feuchten Tüchern verhängte Gebilde. Plastiken. Spachtel. Und … ein Tonfass! Die Kollegen haben die ganze Schule auf den Kopf gestellt. Da war keine Waffe. Wo würde ich eine Glock verstecken, die sozusagen noch heiß ist?, dachte sie. Noch dazu, wenn ich damit rechnen muss, dass die Polizei gründlich ist? Ich würde das verdammte Ding in eine Tüte wickeln und in einen Bottich mit Ton werfen, gab sie sich selbst zur Antwort. Und Nikolas Hrubeschs verfängliche Plastikfolie gleich mit!
    Ihre Augen tasteten sich durch das Dunkel des Flurs bis zur Tür am Ende des Ganges, die genau wie am Dienstag geschlossen zu sein schien. Wenn Laurin da rein ist, müsste ich den Schlüssel gehört haben, dachte sie. Kein Mensch kann eine Tür aufsperren, ohne ein Geräusch zu machen. Nicht in dieser Grabesruhe hier unten …
    Ein unerwartetes Geräusch rechts von ihr ließ sie herumfahren. Sie fühlte, wie ihre Muskeln sich verhärteten. Wie ihr gesamter Körper sich unter der Anspannung verkrampfte.
    Da war er!
    Er musste es sein!
    Er hatte sie gehört, und jetzt lauerte er auf sie, genau, wie er am Dienstag auf Hrubesch gelauert hatte.
    Mit wild klopfendem Herzen schob sie den Kopf um die Ecke des Umkleideraums, in dem das SEK auf die Leiche des jungen Amokschützen gestoßen war. In der diffusen Düsternis unter den schießschartenähnlichen Fenstern erkannte sie vage die langen Spindreihen. Dazwischen Holzbänke, gefährliche Stolpersteine.
    Wo war der Lichtschalter?
    Sie zog sich wieder auf den Gang zurück und versuchte, sich die räumlichen Gegebenheiten ins Gedächtnis zu rufen. Es gab nur zwei Türen. Die, vor der sie stand, und den Zugang zum Duschraum. Zugleich brannte sich eine Frage in ihrem Kopf fest, die plötzlich von entscheidender Wichtigkeit war. War die Tür zum Werkraum noch immer verschlossen? Hatte ihr Erscheinen Laurin abgelenkt, und versteckte er sich jetzt vor ihr, um sie zu überrumpeln? Oder war es ihm irgendwie gelungen, an die Waffe zu kommen? War dieser verdammte Scheißkerl bewaffnet oder nicht?
    Winnie Heller presste die Lippen aufeinander, bis die alten, fast verheilten Wunden zu pochen begannen. Der Lichtschalter war links neben der Tür; was das betraf, war sie sich plötzlich sicher. Aber sollte sie es tatsächlich riskieren?
    Ein lautes Poltern aus dem Dunkel vor sich nahm ihr die unbequeme Entscheidung ab. Sie griff um die Ecke, und gleich darauf flammte kaltes, hektisches Neonlicht von der Decke. Die plötzliche Helligkeit trieb ihr Tränen der Anstrengung in die Augen, und abermals fühlte sie sich an ihr Erlebnis vom vergangenen Montag erinnert. An die Scheinwerfer, die ihren Angreifer vertrieben und ihr das Leben gerettet hatten …
    »Sander Laurin«, schrie sie, indem sie einen entschlossenen Schritt in den Raum hinein machte. »Polizei!«
    Sie sah einen Schatten zwischen den Spinden. Dann eine Stimme.
    »Nicht schießen.«
    Verdammt, das war nicht …
    »Bitte!«
    »Sven?«, rief Winnie Heller verwundert. »Sven Strohte?«
    »Ja.«
    »Wo sind Sie?«, fragte sie, doch im selben Moment trat er auch schon hinter den Spinden hervor, die Hand schützend über die Augen gelegt. »Was machen Sie hier unten?«
    Er antwortete nicht.
    »Sind Sie wegen des Werkraums hier?«
    Der junge Pianist hob den Kopf. Sein Gesicht war totenbleich und von einem feinen Schweißfilm überzogen. »Sie wissen davon?«
    Winnie Heller nickte. »Jessica hat uns alles erzählt. Und wir wissen auch, dass Sie Steven Höhmann nicht ermordet haben.«
    Er kniff die Augen zusammen, und sie konnte sehen, wie er überlegte. Ob sie die Wahrheit sagte. Ob er ihr trauen konnte. Wie die Alternativen aussahen. »Aber wer …?«
    »Laurin«, antwortete Winnie Heller, als ihr plötzlich klar wurde, dass sie im hellsten Licht standen. Dass man sie hören konnte. Dass sie ein prachtvolles Ziel abgaben. Und den Erfolg der gesamten Aktion leichtfertig aufs Spiel setzten. »Aber das erkläre ich Ihnen später«, setzte sie in gedämpftem Ton hinzu, während sie blind nach dem Lichtschalter in ihrem Rücken tastete. »Jetzt müssen wir uns absolut ruhig verhalten, okay? Sonst … Hey, was ist?«
    Der Ausdruck in seinem Gesicht hatte sich verändert, und er schien mit einem Mal an ihr vorbeizublicken. Sie wollte schon fragen, was er habe, aber dann spürte sie es
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