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Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht

Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht

Titel: Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Autoren: Martin Calsow
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Schlickenrieder wollte den Sieg seiner Tochter. Hier in Kitzbühel, beim Abfahrtsrennen der U18-Talente, war seine Tochter dabei. Sein Kopf war rot. Er war heiser. Es würde keinen weiteren Durchlauf geben. Der Schneefall war schon so stark, dass niemand mehr den Startpunkt sah, dort oben, wo sie sich in das Tal stürzten.
    Seine Tochter lebte seinen Traum. Er war so alt wie sie gewesen, als sein Knie sich drehte, sämtliche Außen- und Innenbänder zerrissen und er von da an Kabel verlegen und Lampen eindrehen musste – in den Häusern seines Vaters.
    Er sah sie als roten Punkt von oben aus einem Waldstück kommen, sie sprang über einen Buckel, hob ab. Für eine Sekunde wirkte es, als ob seine Tochter fliegen könnte, dachte er.
    Dann vibrierte es in seiner Jacke. Er zog das Telefon heraus, blickte auf das Display, sah nicht, wie seine Tochter landete, wie sie stürzte, hörte nicht, wie die Stimme aus den Lautsprechern ihr Ausscheiden bekannt gab. Er rannte und redete. Im Krach der Kuhglocken, der Durchsagen und des Raunens der Leute angesichts des Sturzes konnte er kaum verstehen, was sein Gesprächspartner sagte.
    So zärtlich er bei Siegen zu seiner Tochter war, so hart und unerbittlich war er bei Niederlagen. Sie weinte, lag auf dem Tisch im Ärztezelt. Er tippte Kurznachrichten, sagte seiner Tochter immer wieder, dass es nur Blessuren seien, die vorübergehen würden. Die behandelnde Ärztin schickte ihn hinaus und gab der Tochter ein Schmerzmittel. Seine Tochter weinte dennoch. Im Auto rief er einen Freund an, bat ihn, möglichst schnell zum Tegernsee zu kommen. »Das Wetter schlägt um.«
    Er fuhr immer wieder dicht auf die vorausfahrenden Wagen auf, versuchte zu überholen. Seine Tochter sprach ihn auf die Bürgerbefragung an, die heute stattfinden sollte. Er antwortete ausweichend. Sie fragte patzig nach. Er atmete durch, wollte ruhig bleiben. Noch einmal hakte sie nach. Er flippte aus, bremste, fuhr rechts in eine Schneewehe. Stieg aus der hitzigen Wärme des Wagens hinaus in die klirrende Kälte. Aber das kühlte ihn nicht ab. Er sah, wie sie ihn trotzig anblickte.
    Es ging nicht anders. Er zog sie aus dem Wagen und schmiss ihr die Skier hinterher. Es waren nur noch tausend Meter. Die konnte sie laufen und nachdenken.
    Sie schrie, aber er fuhr weiter. Er kam von Osten, fuhr durch den kleinen Ort Ostin hinein in das Tal, das als solches kaum zu erkennen war. Der See hätte, weil das gegenüberliegende Ufer nicht zu sehen war, auch ein Meer sein können. Schlickenrieder lenkte seinen schwermotorigen SUV hinauf zu einem Restaurant oberhalb des Sees. Nicht weit davon entfernt lag das Anwesen eines Fußballpräsidenten, der hier immer noch Heiligenstatus genoss.
    Schlickenrieder klopfte seine Schuhe am Eingang ab, schüttelte sich den Schnee vom Kopf und sah sich um. Ein Kellner schaute ihn wissend an und führte ihn in einen Nebenraum. In einer Ecke saßen sie. Der Bürgermeister und der Immobilienmakler. Männer, die von diesem Flecken Erde als ›Hidden Champion‹, ›verstecktes Juwel‹, ›wach zu küssende Prinzessin‹ redeten. Aber eigentlich wollten sie nur Geld machen. Wäre das mit Mastbetrieben oder Klärgruben zu schaffen gewesen, hätten sie auch damit keine Probleme gehabt. Aber jetzt waren es eben Hotels, Rehazentren und Yogastudios. Der Bürgermeister Stangassinger aß einen Schweinsbraten. Er hasste es. Aber als Lokalpolitiker musste er das mögen, und auch in dieser Freundesrunde konnte er nicht von diesem Spiel lassen. Sein Gegenüber, Brunner, hatte seinen Mund in ein Backhendl versenkt. Fett lief ihm aus dem Mundwinkel. Ihm schmeckte es.
    »Was ist da oben los?«
    Schlickenrieder sagte nicht wie üblich: »Habe die Ehre.« Er wollte ein ganz harter Geschäftsmann sein.
    Stangassinger tupfte sich den Mund ab. Er wollte das als diskreten Hinweis für Brunner verstanden wissen, der sein Hühnerfett immer noch auf die Tischdecke tropfen ließ. »Sie haben eine Leiche an unserer Jagdhütte gefunden. Einen Soldaten, sagen sie.«
    Schlickenrieder machte eine ungeduldige Handbewegung wie ein Lehrer, der Vokabeln abfragen lässt. »Ja, weiß ich schon. War der Birmoser, der Sauhund, der wirre. Der hat den Baum gefällt. Plötzlich kommt die Drecksleiche zum Vorschein. Und? Was hat das mit dem Sol- Projekt zu tun?«
    Er sprach es so aus, dass es wie ›Soll-Projekt‹ klang. Brunner hatte sich den Namen ausgedacht, um die »Verbindung aus der großartigen Sole-Quelle, die dieser Ort besitzt,
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