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Quantum

Quantum

Titel: Quantum
Autoren: Hannu Rajaniemi
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»Mistkerl!«, rufe ich zum wiederholten Mal. »Komm zurück
und kämpfe!«
    Die beiden Automaten schleppen mich durch einen Korridor mit offenen
Türen. Es scheinen Hunderte zu sein. In den Räumen dahinter spielen stumme
Wachsfiguren in Zeitlupe einzelne Szenen, die bei mir eine Saite anschlagen:
Ein junger Mann sitzt in einer Gefängniszelle und liest ein Buch. In einem
dunklen Zelt sitzt eine Frau vor sich hin summend in einer Ecke vor einem
kläglichen Feuerchen und bereitet sich eine Mahlzeit zu. Eine wachsgesichtige
nackte Raymonde spielt mit unbeholfenen Fingern langsam auf einem Klavier. Alle
sind tote Automaten, und mir wird mit einem Mal klar, was mit einer fernen Erinnerung gemeint sein könnte.
    Doch erst als sie mich in die Werkstatt bringen und ich die
Gussformen, das Becken mit dem heißen Wachs und das scharfe Skalpell sehe,
fange ich zu schreien an.
    Isidore spürt einen Bruch. Als es vorbei ist, hält er immer noch
Pixils Hand. Er blinzelt. Es riecht nach Staub und nach Wachs. Sie stehen in
einem Raum, der aussieht wie die Werkstatt eines Folterknechts, aber hohe,
reich verzierte Fenster hat, durch die man auf einen Garten schaut. Der Dieb
ist auf einem langen Tisch festgeschnallt, und Märchenfiguren beugen sich über
ihn: ein Wolf in Frauenkleidern, ein Mann mit Schnurrbart und eine Zofe, beide
in Kostümen aus der Geschichte der alten Erde. Sie halten scharfe, gebogene
Messer in ihren Pfoten und Wachshänden.
    Pixil macht einen Satz nach vorn. Ihr Schwert fährt klirrend aus der
Scheide und frisst sich nach links und nach rechts durch Wachs und Messing. Ein
pelziger Kopf fliegt durch die Luft; aus dem durchbohrten Hinterkopf des Mannes
ergießen sich Rädchen und Metallteile. Die Wachsfiguren fallen in Trümmern zu
Boden. Dann setzt sie dem Dieb vorsichtig die Spitze der Klinge an die Kehle.
    »Keine Bewegung«, sagt sie. »Das ist ein Schwert aus dem Realm-Raum.
Wie Sie sehen, passt es sich dieser Umgebung mühelos an.«
    »Ich wollte gerade Danke sagen«, keucht
der Dieb. Dann grinst er Isidore an. »M. Beautrelet. Ich bin entzückt, Sie hier
zu sehen. Wir haben uns ja bereits kennengelernt. Jean le Flambeur, zu Ihren
Diensten. Aber Ihre verehrte Freundin wurde mir – natürlich – noch nicht
vorgestellt.«
    »Was geht hier vor?«, will Isidore wissen.
    »Wie ich zu meinem Bedauern gestehen muss, hat hier der Kryptarch –
le Roi – das Sagen.« Er blinzelt. »Aber wie kommen Sie hierher? Natürlich, der
Zoku-Ring. Erstaunlich, wie nützlich das Laster der Kleptomanie manchmal sein
kann – Achtung!«
    Isidore dreht sich um und sieht gerade noch etwas Pelziges
davonhuschen. »Fangen Sie sie!«, ruft der Dieb. »Sie hat Ihren Ring!«
    Da kommen sie , sagt Perhonen . Ich kann sie nicht mehr
aufhalten.
    Sie spürt, wie die fliegenden Phoboi auf die Schiffshaut treffen und
die Panzerung schwächen. »Raus mit dir.« Das Schiff steigt auf, und Mieli
sieht, wie die Phoboi-Flut den in Auflösung begriffenen Schweiger-Wall wie eine
Sense durchschneidet und darüber hinwegströmt. Sie blinzelt die Sicht des
Schiffes weg und konzentriert sich wieder darauf, die von den Kryptarchen gesteuerten
Kampf-Schweiger zu beschießen.
    Ein gelber Bau-Schweiger hat sie zur Landung gezwungen, indem er
Baustaub fabbte und in die Luft blies. Dadurch wurden die Mikroventilatoren
ihrer Flügel vorübergehend blockiert. Die Schweiger stürzen sich immer wieder
unbeirrt auf sie und Raymonde, sodass sie nur im Schneckentempo auf die
schwarze Nadel zukriechen können.
    »Die Phoboi brechen durch«, ruft Mieli dem Zaddik zu. Sie kann noch
durch den Staub und die Silbermaske hindurch Raymondes Verzweiflung erkennen.
    Mieli! Es tut sich etwas! Sie verlangsamt
die Zeit und schaut wieder durch die Augen des Schiffs.
    Die Blase um die Zoku-Kolonie löst sich auf. Johlende Geister aus
Glanz und Diamant und Edelsteinen kommen herausgeritten, besprühen die Phoboi
mit kohärentem Licht, durchstoßen die Horde, als wäre sie gar nicht vorhanden,
und verschwinden schneller, als ein menschliches Auge ihnen zu folgen vermag.
Hinter der wilden Jagd brechen Flächenbrände aus – selbstreplizierende
Nanotech-Waffen –, und Flammenkreise fressen sich durch die brodelnde Masse. Was mag sie umgestimmt haben? , fragt sich Mieli. Aber für
lange Überlegungen ist keine Zeit.
    »Komm!«, ruft sie Raymonde zu. »Noch können wir es schaffen! Sie
beißt die Zähne zusammen, fährt aus der Kanone eine Q-Klinge aus und stürmt
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