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Quantum

Quantum

Titel: Quantum
Autoren: Hannu Rajaniemi
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verschiedenen Blickwinkeln betrachten und
durchschauen kann.
    »Die Kryptarchen«, sagt er dann. »Die Kryptarchen könnten der Sache
immer noch ein Ende machen. Sie könnten die Stadt wieder in Bewegung setzen und
den Kämpfen Einhalt gebieten. Raymonde wollte dorthin, zusammen mit dem Dieb.«
Er zeigt auf die Nadel, die wie ein Pfeil im Herzen der Miniaturstadt steckt.
    »Der Ring«, sagt er. »Der Dieb hat meinen Verschränkungsring
gestohlen. Pixil, wäre deine Geisternummer auch da drin möglich?«
    »Kann sein, kommt darauf an, was das ist«,
antwortet Pixil. Wir brauchen nur ein Realm-Tor, dann wissen wir es.« Sie
strebt dem nächsten Silberbogen zu.
    »Der Zoku wird das nicht zulassen«, warnt die Älteste.
    »Du brauchst mich nur durchzuschleusen«, sagt Isidore. »Mehr
verlange ich nicht. Aber ich kann nicht einfach dabeistehen und zusehen.«
    Pixil berührt den Zoku-Stein an ihrer Kehle, kneift die Augen zu und
verzieht schmerzlich das Gesicht. Dann löst sich der Stein, es ist wie die
Geburt eines kleinen Wesens. Sie hält ihn mit blutigen Fingern hoch. »Die
Freiheit, die uns immer noch bleibt«, sagt sie, »ist die Freiheit, das Spiel zu
verlassen. Ich bin draußen. Ich wurde hier geboren. Ich bleibe.«
    Sie nimmt Isidores Hand. »Lass uns gehen.«
    »Was hast du vor?«, fragt die Älteste.
    Pixil berührt das Tor. Honiggelbes Licht strömt heraus. »Ich tue das
Richtige«, sagt sie. Dann tritt sie durch das Tor und zieht Isidore hinter sich
her.

20   Zwei Diebe und ein Detektiv
    Die Dunkelheit baut uns wieder auf. Ich fühle mich, als
würde ich von einer Feder gezeichnet, Stück für Stück kehrt das Gefühl in mein
Fleisch, meine Haut, meine Gliedmaßen zurück. Und dann kann ich auch wieder
sehen.
    Eine Katze starrt mich an. Sie steht auf den Hinterbeinen und trägt
Stiefel und einen Hut. Ein winziges Schwert hängt an ihrem breiten Gürtel. Die
Augen wirken glasig und tot, und ich begreife, dass sie aus Glas sind, und wie helles Gold glänzen. Dann nimmt die Katze mit
einer ruckartigen Bewegung ihren Hut ab und verneigt sich mit mechanischem
Überschwang.
    »Guten Tag, Meister«, sagt sie mit hoher, schnarrender Stimme.
»Willkommen.«
    Wir stehen auf der Galerie eines prächtigen Palastes. An den
vergoldeten Wänden hängen Gemälde, an der Decke glitzern kristallene
Kronleuchter. Durch große Fenster sieht man hinaus auf eine italienische
Terrasse, die Abendsonne fällt herein und übergießt alles mit ihrem
bernsteinfarbenen Schein. Ich kauere auf dem Boden, auf Augenhöhe mit der
Katze. Mein Bein ist immer noch ein Stumpf, aber es schmerzt wenigstens nicht.
Wie le Roi trage ich die Tracht eines früheren Höflings, einen Frack mit langen
Schößen und Messingknöpfen, lächerlich enge Hosen und ein Rüschenhemd. Aber die
Katze hat sich vor ihm verneigt. Und er hält immer
noch den Revolver in der Hand.
    Ich setze zum Sprung an, aber er ist schneller. Er schlägt mir mit
dem Griff des Revolvers ins Gesicht, und so bizarr es klingt: Der Schmerz ist
hier realer als in der wirklichen Welt. Ich spüre, wie sich das Metall in mein
Fleisch und meinen Wangenknochen gräbt, und verliere fast die Besinnung. Mein
Mund füllt sich mit Blut.
    Le Roi stößt mich mit dem Fuß an. »Schaff diese Kreatur hier weg«,
befiehlt er. »Und suche mir etwas zum Anziehen.«
    Die Katze verneigt sich wieder und klatscht in die Pfoten. Man hört
kaum etwas davon, dennoch nähern sich Schritte von ferne, und eine Tür geht
auf.
    Ich kämpfe mich zum Sitzen hoch und spucke le Roi mein Blut vor die
Füße. »Mistkerl«, sage ich. »Ich war auf dich vorbereitet. Es gibt hier Fallen,
von denen du nichts weißt. Du wirst schon sehen.«
    »Das ist nun wirklich ein kläglicher Versuch, der unser beider nicht
würdig ist«, schilt le Roi. »Du kannst froh sein, dass ich dich zum
Zeitvertreib in meiner Nähe behalte. Sozusagen als ferne Erinnerung.«
    Er winkt mit dem Revolver, und starke, unerbittliche Hände heben
mich vom Boden auf und schleppen mich fort. Wachsfiguren: ein Mann mit einem
dichten Schnurrbart in einem Anzug aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert und
eine mir unbekannte Frau, als Zofe gekleidet. Beide haben Glasaugen und gelbe,
grob ausgeformte Wachsgesichter. Ich will mich wehren, aber ihren
Automatenkräften bin ich nicht gewachsen.
    »Lasst mich los!«, rufe ich. »Nicht er ist euer Meister, ich bin
es!« Aber der Revolver verleiht le Roi eindeutig mehr Autorität, als ich
zusammenkratzen kann.
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