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Quantum

Quantum

Titel: Quantum
Autoren: Hannu Rajaniemi
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zurechtschleifen.
    Wenn die Gegenseite schießt und ich nicht, bin ich der Dumme. Wenn
wir beide schießen, tut es ein bisschen weh. Wenn wir kooperieren, ist es für
beide Seiten wie Weihnachten. Leider gibt es jedes Mal einen Anreiz, den Abzug
durchzuziehen. Wenn wir immer und immer wieder zusammentreffen, wird sich
kooperatives Verhalten herausbilden, so die Theorie.
    Noch ein paar Millionen Spielrunden, und ich werde zum Pfadfinder.
    So weit, so gut.
    Das Ergebnis des letzten Spiels spüre ich in allen Knochen. Das
Kriegerhirn hat Verrat geübt und ich auch. Noch zwei Spiele in dieser Runde. Das reicht nicht. Verdammt.
    Wenn man gegen seine Nachbarn spielt, kann man Geländegewinne
erzielen. Wer am Ende einer Runde einen höheren Punktestand erreicht hat als
alle anderen, ist Sieger. Der Preis sind Duplikate von einem selbst, die die
Verlierer ringsum ersetzen – und auslöschen. Ich spiele heute nicht sehr gut –
bisher zweimal ein Doppelverrat, beide Male gegen das Kriegerhirn –, und wenn
ich das Ruder nicht herumreiße, heißt es: hinab ins Vergessen.
    Ich wäge meine Alternativen ab. Zwei von den angrenzenden Feldern –
links und hinter mir – enthalten Kopien des Kriegerhirns. Rechts von mir
befindet sich eine Frau: Wenn ich mich dahin wende, verschwindet die Wand
zwischen uns und wird durch die blaue Todeslinie ersetzt.
    Ihre Zelle ist so leer wie die meine. Sie sitzt in einer Art
schwarzer Toga in der Mitte und hat die Arme um die Knie geschlungen. Ich
mustere sie neugierig und stelle fest: Ich habe sie noch nie gesehen. Ihre
tiefbraune Haut erinnert mich an Oort, das ovale Gesicht hat asiatische Züge,
der Körper ist stämmig und kraftvoll. Ich lächle und winke ihr zu. Sie beachtet
mich nicht. Für das Gefängnis zählt das offenbar als beiderseitige Kooperation:
Ich spüre, wie mein Punktestand ein wenig steigt, eine Wärme wie nach einem
Schluck Whisky. Die Glaswand zwischen uns ist wieder da. Das
war wirklich nicht schwer. Aber gegen das Kriegerhirn komme ich noch
nicht an.
    »He, du Versager«, lässt sich eine Stimme vernehmen. »Sie ist nicht
interessiert. Es gibt bessere Alternativen.«
    In der letzten Zelle befindet sich ein anderes Ich. Es/er trägt ein
weißes Tennishemd, Shorts und eine übergroße verspiegelte Sonnenbrille und
lümmelt in einem Liegestuhl an einem Swimmingpool. In seinem Schoß liegt ein
Buch: Le Bouchon de cristal , Maurice Leblancs »Der
Kristallstöpsel oder Die Missgeschicke des Arsène Lupin«. Auch eins von meinen Lieblingswerken.
    »Es hat dich erwischt«, sagt er, ohne auch nur den Kopf zu heben.
»Schon wieder. Wie oft – dreimal hintereinander? Du müsstest doch inzwischen
wissen, dass es immer auf der Schiene ›Wie du mir, so ich dir‹ fährt.«
    »Diesmal hätte ich es fast erwischt.«
    »Die Idee, durch falsche Erinnerungen zur Kooperation zu erziehen,
ist nicht schlecht«, sagt er. »Nur wird sie leider nie funktionieren: Die
Kriegerhirne haben Hinterhauptslappen, die vom Standard abweichen, und einen nichtsequentiellen
dorsalen Strom. Man kann sie mit visuellen Illusionen nicht täuschen. Nur
schade, dass die Archonten keine Fleißpunkte geben.«
    Ich zwinkere.
    »Moment mal. Wieso weißt du das und ich nicht?«
    »Dachtest du etwa, du wärst hier der einzige le Flambeur? Ich bin schon länger in der Gegend. Wie auch immer, du brauchst
noch zehn Punkte, um das Hirn zu schlagen, also komm hier rüber und lass dir
von mir helfen.«
    »Nur immer schön drauf rumreiten, Klugscheißer.« Ich atme zum ersten
Mal in dieser Runde erleichtert auf und trete an die blaue Linie. Auch er steht
jetzt auf und zieht unter dem Buch eine schnittige Automatik hervor.
    Ich deute mit dem Zeigefinger auf ihn. »Bumm, bumm«, sage ich. »Ich
kooperiere.«
    »Sehr komisch«, sagt er und hebt grinsend seinen Revolver.
    Mein doppeltes Spiegelbild in seinen Brillengläsern wirkt klein und
nackt.
    »Nun aber mal langsam. Wir sitzen doch in einem Boot, oder?« Und ich dachte immer, ich hätte Humor.
    »Sind wir nicht alle Glücksspieler und Zocker?«
    Es macht klick . Unwiderstehliches Lächeln,
üppig ausgestattete Zelle, er lullt mich ein, erinnert mich an mich selbst,
aber irgendetwas stimmt nicht ganz …
    »Verdammte Scheiße.«
    In jedem Gefängnis gibt es Gerüchte und Schreckgespenster, und hier
ist es nicht anders. Von diesem Ungeheuer hat mir ein Zoku-Deserteur erzählt,
mit dem ich eine Zeit lang kooperierte: die legendäre Anomalie. Der
Überverräter. Das Ding, das
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