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Quantum

Quantum

Titel: Quantum
Autoren: Hannu Rajaniemi
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jede Stunde einmal
selbst in den Kopf zu schießen. Bist du sicher, dass dein Boss nichts dagegen
hat, wenn du mit mir sprichst? Ich meine, ich bin schließlich als manipulativer
Meisterverbrecher berüchtigt.«
    »Ich denke, ich werde schon mit dir fertig. Und im Übrigen ist sie
eigentlich nicht mein Boss .«
    »Ach so«, sage ich. »Ich bin vielleicht altmodisch, aber die
Sexualität zwischen Mensch und Gogol hat mich in meiner Jugend sehr
beschäftigt, und alte Gewohnheiten sind zäh.«
    » So war das nicht gemeint«, kontert das
Schiff. »Wir sind nur Freunde! Außerdem hat sie mich erschaffen. Nun ja, nicht mich , sondern das Schiff. Ich bin nämlich älter, als ich
aussehe.« Ich frage mich, ob der Akzent echt ist. »Weißt du, dass ich schon von
dir gehört hatte? Damals. Vor dem Großen Zusammenbruch.«
    »Ich hätte dich keinen Tag älter als dreihundert geschätzt. Warst du
ein Fan von mir?«
    »Der Sonnenlifter-Diebstahl hat mir gefallen. Das hatte Stil.«
    »Stil«, sage ich, »war immer mein Anliegen. Übrigens siehst du
wirklich keinen Tag älter als dreihundert aus.«
    »Ehrlich?«
    »Mhm. Eine evidenzbasierte Schätzung.«
    »Soll ich dich herumführen? Mieli wird nichts dagegen haben, sie ist
beschäftigt.«
    »Das wäre schön.« Eindeutig weiblich – vielleicht
konnte ich etwas von meinem Charme über die Haftzeit retten. Plötzlich
spüre ich den Wunsch, mir etwas anzuziehen: wenn ich mich mit einem weiblichen
Wesen gleich welcher Art unterhalte, ohne zumindest ein Feigenblatt zu haben,
fühle ich mich ziemlich verwundbar. »Klingt so, als hätten wir viel Zeit,
einander besser kennenzulernen. Aber könntest du mir zuvor ein paar Klamotten
besorgen?«
    Zuerst fabbt Perhonen mir einen Anzug.
Der Stoff ist zu glatt – ich trage nur ungern Nanomaterie, aber wenn ich mich
in einem weißen Hemd, schwarzen Hosen und einem dunkelvioletten Jackett sehe,
ist das Gefühl, nicht ich selbst zu sein, nicht mehr ganz so stark.
    Dann zeigt sie mir die Spime-Sicht. Plötzlich hat die Welt eine neue
Dimension. Ich verlasse meinen Körper, trete in diesen neuen Raum ein und
verlege meinen Standort ins All, um mir das Schiff ansehen zu können.
    Ich hatte recht: Perhonen ist ein
oortisches Spinnenschiff. Sie besteht aus einzelnen Modulen, die durch Leinen
aus Nanofasern miteinander verbunden sind; die Wohnbereiche rotieren wie ein
Karussell auf dem Rummelplatz um eine Zentralachse, wodurch scheinbare
Schwerkraft erzeugt wird. Die Leinen bilden ein Netz, in dem sich die Module
bewegen können wie Spinnen. Die Quantenpunkt-Segel – konzentrische Ringe aus
künstlichen Atomen, so dünn wie Seifenblasen, die das Schiff im Umkreis von
mehreren Kilometern umgeben und gleichermaßen Sonnenlicht, Mesopartikel vom
Highway und Lichtmühlenstrahlen einfangen können – sind spektakulär.
    Ein verstohlener Blick auf meinen eigenen Körper, und jetzt bin ich wirklich beeindruckt. In der Spime-Sicht ist er ein
einziges Gewimmel. Ein Netz von Quantenpunkten unter der Haut, proteomische
Computer in jeder Zelle, dichtes Computronium in den Knochen. So etwas kann nur
auf den Gubernja -Welten in Sonnennähe hergestellt
worden sein. Offenbar arbeiten meine Retter für den Sobornost. Interessant.
    »Ich dachte, du wolltest mich kennenlernen«, beklagt sich Perhonen .
    »Natürlich«, sage ich. »Aber weißt du, ich will mich auch
vergewissern, dass ich mich sehen lassen kann. Im
Gefängnis bewegt man sich nicht allzu oft in Damengesellschaft.«
    »Warum warst du überhaupt dort?«
    Mit einem Mal finde ich es unglaublich, dass ich so lange nicht
darüber nachgedacht habe. Ich war einfach zu beschäftigt mit Revolvern, Verrat
und Kooperation.
    Warum war ich im Gefängnis?
    »Ein anständiges Mädchen sollte solche Fragen nicht stellen.«
    Perhonen seufzt. »Vielleicht hast du
recht. Vielleicht sollte ich gar nicht mit dir sprechen. Mieli wäre nicht sehr
angetan, wenn sie es wüsste. Aber wir hatten so lange keine interessanten Leute mehr an Bord.«
    »Allzu viel ist in dieser Gegend wohl wirklich nicht los.« Ich zeige
auf das Sternenfeld, das uns umgibt. »Wo sind wir?«
    »Im Trojanergürtel des Neptun. Am Arsch der Welt. Ich musste lange
hier warten, als sie dich holen ging.«
    »Du hast keine Ahnung, was es heißt, Verbrecher zu sein. Man ist
hauptsächlich mit Warten beschäftigt. Langeweile, unterbrochen von kurzen
Phasen blanken Entsetzens. Ungefähr wie im Krieg.«
    »Oh, der Krieg hat mir viel besser gefallen«, ruft sie
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