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Quantum

Quantum

Titel: Quantum
Autoren: Hannu Rajaniemi
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Unterarm und hinterlässt einen schmerzhaften blutigen Pinselstrich.
    Es ist noch heißer geworden, und überall riecht es nun nach
Sägemehl. Die Schwärze in den Wänden breitet sich aus: Das Schiff brennt und
verwandelt sich dabei. In meiner Brust schlägt das Herz, als zöge der Glöckner
von Notre Dame am Glockenstrang. Ich klettere nach oben.
    Ich kann durch den Saphir in die Pilotenwanne hineinsehen: Wild
brodelnder Nanonebel hängt in der Luft wie ein Hitzeschleier, mittendrin
schwebt Mieli mit geschlossenen Augen. Ich hämmere mit der Faust gegen die Tür.
»Lass mich rein!«
    Ich weiß nicht, ob ihr Gehirn bereits Schaden genommen hat. Wer
weiß, vielleicht ist sie schon im Gefängnis? Aber wenn nicht, muss ich sie da
rausholen. Ich versuche, an der Stange Schwung zu nehmen, und trete mit der
Ferse gegen die Tür. Aber es nützt nichts – sie selbst oder das Schiff müssen
dem intelligenten Saphir befehlen, sie zu öffnen.
    Saphir. Ich erinnere mich an ihren
Gesichtsausdruck, als ich mit einem Ständer erwachte. Sie kann den Biot-Feed
meines Körpers lesen, aber jetzt filtert sie ihn wohl aus. Es sei denn, es gäbe
eine Schwelle …
    Scheiße. Wenn man nicht zögert, geht es
leichter. Ich schnappe mir eine lange, spitze Saphirscherbe aus der Luft und
stoße sie mir, so fest ich kann, zwischen den Metakarpalknochen in die linke
Handfläche. Fast wird mir schwarz vor Augen. Die Scherbe schrammt an den
Knochen entlang und zerreißt Sehnen und Adern. Es tut so, als schüttelte man
dem Satan die Hand: rot, schwarz, gnadenlos. Ich rieche Blut: Es spritzt aus
der Wunde über mich hin und entschwebt dann langsam, in großen, unförmigen
Tropfen ins All.
    Zum ersten Mal seit meiner Flucht aus dem Gefängnis empfinde ich
echten Schmerz, und das hat etwas Großartiges. Ich schaue auf die blaue
Scherbe, die aus meiner Hand ragt, und breche in Gelächter aus, bis der Schmerz
übermächtig wird und ich schreien muss.
    Jemand ohrfeigt mich – kräftig.
    »Verdammt, was fällt dir eigentlich ein?«
    Mieli steht in der Tür zur Pilotenwanne und schaut mich mit weit
aufgerissenen Augen an. Nun, das hat sie immerhin gespürt. Inaktive
Foglets umschwirren uns, grauer Nanostaub, der das Chaos noch vergrößert; ich
fühle mich an den Ascheregen über einer brennenden Stadt erinnert.
    »Vertrau mir«, erwidere ich. Ich bin blutüberströmt und grinse wie
ein Irrer. »Ich habe einen Plan.«
    »Ich gebe dir zehn Sekunden.«
    »Ich kann es rausschmeißen. Ich kann es täuschen. Ich weiß, wie man
das macht. Ich weiß, wie es denkt. Ich war lange dort.«
    »Und warum sollte ich dir vertrauen?«
    Ich hebe meine blutende Hand und ziehe den Saphir heraus. Neuer
Schmerz flammt grell auf, ein Schmatzen ist zu hören.
    »Weil«, knirsche ich mit zusammengebissenen Zähnen, »ich mir lieber
das Ding hier ins Auge stoße, als dorthin zurückzukehren.«
    Sie hält für einen Moment meinem Blick stand. Und dann lächelt sie
tatsächlich.
    »Was brauchst du?«
    »Administratorrechte für diesen Körper. Ich weiß, wozu er fähig ist.
Und Rechenleistung, weit über dem Standard.«
    Mieli holt tief Atem. »Schön. Wirf dieses Drecksding aus meinem
Schiff.«
    Dann schließt sie die Augen, und in meinem Kopf macht es klick .
    Ich bin der Administrator, die Wurzel, und mein Körper ist ein
Weltenbaum, eine Yggdrasil. In seinen Knochen befinden sich Diamantmaschinen,
in seinen Zellen proteomische Technik. Und das Gehirn, ein richtiges
Sobornost-Gehirn der Rajon-Stufe, kann ganze Welten in Gang halten. Meine
eigene menschliche Psyche entspricht in dieser babylonischen Bibliothek weniger
als einer Buchseite. Ein Teil von mir, der lächelnde Teil, denkt sofort an
Flucht, will einen Teil von sich mit dieser großartigen Maschine ins All
schleudern und meine Befreier den Gefängniswärtern überlassen. Doch ein anderer
Teil überrascht mich damit, dass er das ablehnt.
    Ich bewege mich durch das sterbende Schiff und suche nach der
Nanorakete, nicht mehr unbeholfen wie ein Affe, sondern langsam mit eigenem
Antrieb durch die Luft gleitend wie ein Miniaturraumschiff. Da ,
sagen mir meine aufgerüsteten Sinne: In einem Fabrikationsmodul am anderen Ende
des Zylinders ist ein Punkt vergraben, von dem sich die Gefängnismaterie nach
allen Seiten ausbreitet.
    Mit einem einzigen Gedanken erstelle ich eine Lokalkopie von Perhonen s Spime-Sicht. Dann befehle ich dem Saphirfleisch
des Schiffs, sich zu öffnen. Der Saphir wird zu einem weichen, feuchten Gel.
Ich
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