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Quantum

Quantum

Titel: Quantum
Autoren: Hannu Rajaniemi
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schiebe die Hand weit hinein, greife nach der Rakete und ziehe sie heraus.
Sie ist winzig klein, nicht viel größer als eine Zelle, aber sie hat die Form
eines schwarzen Zahns mit scharfen Wurzeln. Mein Körper fasst sie mit
Quantenpunkt-Fasern, ich halte sie in die Höhe: was für ein winziges Ding, aber
es hat mindestens ein Archon-Bewusstsein in sich, und das sucht nach Dingen,
die man in Gefängnisse verwandeln kann.
    Ich stecke die Rakete in den Mund, beiße fest die Zähne zusammen und
schlucke sie hinunter.
    Der Archon ist zufrieden.
    Er spürte für einen Moment einen Fehler, als er den Dieb kostete,
eine Dissonanz, als wären da zwei Diebe in einem.
    Aber außerhalb des Muttergefängnisses ist alles fremd: Hier draußen
laufen die Spiele nicht in ihrer Reinform ab. Die alte, hässliche Physik ist
nicht so perfekt wie das Spiel der Archonten, das in seiner Einfachheit
makellos ist, aber doch die ganze Unentscheidbarkeit der Mathematik einfängt. Deshalb
ist es seine Aufgabe, diese Materie in ein weiteres Gefängnis umzuwandeln, um
die Reinheit des Universums zu erhöhen. Das ist es, was sein Vater, der
Seelenkonstrukteur, ihn und seine Kopiebrüder lieben lehrte. Auf diese Weise
lässt sich die Welt zurechtrücken.
    Und die Materie eignet sich gut für die Umwandlung in ein Gefängnis.
Vor lauter Vorfreude auf den Geschmack der Muster, die die iterierten Dilemmata
erzeugen werden, läuft dem Archon das Wasser im Mund zusammen. Sein Kopievater
hat ein Verrätermuster entdeckt, das wie Pekan-Eis schmeckt: eine replizierende
Strategiefamilie wie ein Flyer in einem Spiel des Lebens. Vielleicht macht auch
er hier auf diesem kleinen Spielbrett eine neue Entdeckung.
    Weit weit weit weg hört er durch die Qupt-Verbindung das Flüstern
seiner Kopiebrüder. Sie beklagen noch immer die Flucht des Diebs und jenes anderen , jener Anomalie, ein Ereignis, das so gegen alle Regeln war, dass es ihnen durch Mark und Bein
ging. Er sagt ihnen, dass alles wieder in Ordnung kommt, dass sie sich bald mit
dem Muttergefängnis vereinigen werden, dass er etwas Neues mitbringen wird.
    Der Archon schaut hinab auf das Zellgitter, wo die kleinen Diebe,
die Schmetterlinge und die Oort-Frauen leben, und da hat er sie in dem süßen
Brei auch schon gefunden. Bald wird das Spiel von Neuem beginnen. Jeden Moment
ist es so weit.
    Es wird schmecken wie Zitronensorbet, denkt der Archon.
    »Zauberei«, sage ich zu ihr. »Weißt du, wie Zaubertricks
funktionieren?«
    Ich bin wieder mein menschliches Ich. Die Erinnerung an die
Sinneserweiterung und die gesteigerte Rechenleistung verblasst bereits, aber
sie fühlt sich immer noch an wie die Phantomschmerzen nach dem Verlust einer
Gliedmaße. Und natürlich läuft jetzt in mir ein Archon, eingeschlossen in
meinen Knochen, in rechnerischem Tiefschlaf.
    Wir sitzen in einem der engen Speichermodule, durch Rotation an
einer Nanoleine wird Schwerkraft erzeugt, während sich das Schiff selbst
repariert. Wir sind umgeben von einem funkelnden Strom von Raumschiffen. Sie
verteilen sich über Tausende von Kubikkilometern, werden aber von Perhonen s Außenhaut vergrößert: übertaktete Schnellschiffe
der Zoku-Generation, die Unmengen von Abwärme ausstoßen und für die jeder Tag
einer Reise tausend Jahren entspricht; walförmige Schiffe auf der Basis von
stiller Technologie, mit Grünflächen und Miniatursonnen im Inneren, und
dazwischen wie Leuchtkäfer die Gedankenfähnchen des Sobornost.
    »Eigentlich ist es ganz einfach – es hat mit Neurowissenschaft zu
tun. Ablenkung der Aufmerksamkeit.«
    Mieli beachtet mich nicht. Sie deckt ein Tischchen, das zwischen uns
steht. Darauf sind oortische Speisen angerichtet: durchsichtige Würfel von
einem ganz besonderen Violett, zappelndes Synthfleisch und bunte Früchte, in
saubere Stücke geschnitten – alles fachgerecht gefabbt –, sowie zwei kleine
Gläser. Ihre Bewegungen sind feierlich und beherrscht wie bei einem Ritual.
Ohne mich anzusehen, holt sie aus einer Wandnische eine Flasche.
    »Was machst du da?«, frage ich sie.
    Sie sieht mich an und verzieht dabei keine Miene. »Wir müssen
feiern«, sagt sie.
    »Das sollten wir tatsächlich.« Ich grinse sie an. »Jedenfalls habe
ich lange gebraucht, um dahinterzukommen: so unglaublich es klingt, aber auch
bei einem Sobornost-Bewusstsein kann man Unaufmerksamkeitsblindheit erzeugen.
Es ändert sich nie etwas. Also habe ich seinen sensorischen Input ausgetauscht
und es an eine Simulation angeschlossen, die auf
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