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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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war sein Name, den er makellos erhalten musste.
    Sie erwartete ihn auf der Bettkante sitzend und mit zittrigen Händen. Wenn des Vaters Zorn einmal entfesselt war, konnte ihn nichts besänftigen. Emilia wusste, dass es dann das einzig Vernünftige war zu schweigen, reglos und verschlossen zu bleiben wie eine Schildkröte, bis sich der Sturm gelegt hatte. Chela und sie hatten gelernt, dass der Unmut der Mutter immer mit einer Umarmung verschwand. Der Vater dagegen verstand diese Sprache nicht. Seine Gefühle, wenn er denn überhaupt welche hatte, waren aus Eis und traten nie auf sein Gesicht. Die wenigen Male, da er sie berührt hatte, sträubte sie sich instinktiv und wich zurück. Ein fast animalisches Alarmsignal, das ihr Verstand überhörte. Dupuys Reaktionen waren nicht vorhersehbar, und jetzt machten sie ihr Angst. Sie zog die Knie bis an die Brust an. Simón, flüsterte sie, Simón.
    Sie hörte seine Schritte auf dem Gang. Hörte ihn die Schubladen der Kommoden und Schränke auf- und zuziehen, Türen schmettern, die Tische in der Halle hin und her rücken. Wäre die Mutter im Haus gewesen, wäre sie zu ihr gelaufen, um sie zu beschützen. Doch am Sonntag hatte sie sie in die Klinik zurückgebracht. Sie war allein. Von einem Moment auf den anderen würde Dupuy ins Zimmer gestürzt kommen und Erklärungen fordern. Sie würde sie ihm geben. Sobald er sich beruhigt hätte, würde sie mit ihm sprechen. Sie betrachtete den Lichtstreifen, der durchs Fenster hereindrang. Es dauerte nicht mehr lange bis zur Morgendämmerung. Wenn dieser neue Tag so wäre wie alle, würde der Vater bald mit seinen stählernen Routineverrichtungen beginnen: das Bad, das frugale Frühstück mit schwarzem Kaffee, die Interviewrunde. Möglicherweise hatte er gar keine Zeit mehr zum Reden, und sie konnte sich wieder ins Bett legen. Sie fiel um vor Müdigkeit.
    Die Schlafzimmertür ging weit auf. Dupuy zwischen den beiden Flügeln füllte sie vollkommen aus. Er befahl: Zieh dir auf der Stelle was Anständiges an. Er gab ihr nicht einmal Zeit, den Morgenmantel vom Bügel zu nehmen, sondern packte sie am Arm und zog sie in den Umkleideraum, den Ethel benutzt hatte, als man ihr noch eine eigene Entscheidung zugestanden hatte. Die Spiegel tapezierten Decke und Wände, nur der Parkettboden war nicht verspiegelt. Das war eine kostspielige Extravaganz von Ethel gewesen, die sich immer sehr lange in diesem Raum aufhielt, um den flüchtigen Reflex ihres Körpers in der Welt zu betrachten. In ihrer Kindheit hatte Emilia gefürchtet, die Spiegel würden sich der Mutter bemächtigen und aus dem Zimmer käme nicht derselbe Mensch heraus, sondern ein anderer, der ihr gliche. Eines Nachmittags stand die Tür zum Umkleideraum offen, und sie wagte einen flüchtigen Blick hineinzuwerfen. Nichts von dem, was sie sah, war beängstigend: An einer verchromten Stange hingen Bügel mit Kleidern für die vier Jahreszeiten; beidseits und oben befanden sich Borde voller Hüte, wollener Überwürfe, Schärpen, Handschuhe, Büstenhalter, Seidenstrümpfe, Spitzenunterhosen. Und überall Schuhe, Hunderte. Als sie auf Zehenspitzen wieder hinausging, sah sie voller Schrecken ein mächtiges Nachtlicht angehen, wie wenn die Spiegel ein Sirenengesang wären, der sie lockte.
    Als die Mutter krank wurde, verlor das Zimmer seinen Zweck, wie so viele andere im Haus auch. Dupuy ließ die Kleider den Barmherzigen Schwestern schenken und die Kleiderbügel und Regale abmontieren und verschob die heikle Operation, die Spiegel zu entfernen sowie die Wände zu tünchen und zu streichen, auf später. Das würde er während einer seiner Reisen erledigen lassen, wenn ihn die Arbeiter mit ihrem Kommen und Gehen, dem Gehämmer, der Farbe und dem Staub nicht störten.
    An diesem Morgen kam er auf die Idee, das Zimmer könnte auch als Strafraum dienen. Es gibt nur wenige Menschen, die Abneigung gegenüber Spiegeln empfinden, aber bei diesen wenigen ist die Wirkung magisch und schnell, eine subtile, unbekannte Foltermethode. Emilia sträubte sich wie wild, wenn Ethel sie hereinbat. Es war eine Art amüsantes Spiel für ihn und vielleicht auch für Ethel gewesen. Doch der Horror der Tochter war echt. Spiegel lösten Albträume in ihr aus und setzten ihre Schließmuskeln außer Gefecht. Er freute sich, sie noch nicht entfernt zu haben. Jetzt wären sie das perfekte Instrument, um die Tochter ihr Verbrechen sühnen zu lassen. Er kannte sie ganz genau. Sie war voller Ressentiments und hatte das Cape
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