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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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gingen zum Sterben außer Landes, denn im Land fanden keine weiteren Toten Platz. Die letzte nationale Volkszählung verzeichnete 27   949   480 Einwohner, und die Hausfrauen weinten bitterlich über Leonor Benedettos Unglück in der Fernsehserie
Rosa … de lejos
, und Alfonsín zerrte den Admiral, den Aal und ihre exponiertesten Komplizen vor Gericht; der Aal verbrachte die Prozesstage mit der Lektüre – oder der vorgeblichen Lektüre – von
Die Nachfolge Christi
des Augustinergeistlichen Thomas von Kempen, und drei Militärrevolutionen drohten die Demokratie unter sich zu begraben, und Alfonsín musste sich vorzeitig von der Regierung zurückziehen, bedrängt von der unerbittlichen Inflation und weil die armen Kinder, die auf der Suche nach Brot die Hände in den Müll versenkten, schon so zahlreich waren, dass sie wie Blütenstaub auf die Straße regneten, und danach ersetzte ihn Carlos Menem, der die Militärverbrechen durchgehen ließ, die wenigen Güter, die Argentinien noch blieben, verkaufte, sich missbräuchlich auf die Armen berief und die Attentate gegen die israelische Botschaft und das jüdische Gemeindezentrum ungesühnt ließ, und Charly García warf sich von einem neunten Stock in Mendoza in ein halb leeres Schwimmbecken, kam heil wieder heraus und sang am selben Abend in seinem Rezital »der Mensch, den du liebst, kann verschwinden, die sich in der Luft befinden, können verschwinden«, und ich kehrte nach Buenos Aires zurück in der Absicht, für immer zu bleiben, doch ich blieb nicht. Von Emilias Cape war nie mehr die Rede, ich las wieder Parmenides und lernte, dass sich auch das Sein in den Falten des Nichts verbirgt.
     
    Als ich in der Nähe Paterson und George Street parke, beginnt es zu regnen. Wie vorausgesagt, ist das Restaurant Toscana nicht mehr da.
Das Haus an der Ecke ist kein Fluss mehr und weint nicht
, sage ich mir, ein Zitat eines Gedichts, das mir zufliegt; doch der Fluss ist nicht verschwunden, ich bin sicher, dass ich, wenn ich aus dem Fenster schaue, einen Fluss durch die Ebene fließen sehe, wo ich vorher die Pampa von Buenos Aires gesehen habe mit den weidenden Kühen, die ab und zu aus großen Augen zum unbarmherzigen Himmel hinaufschauen, und wieder spüre ich, dass man auf den Karten sein kann, was man will, Ebene, Amazonasdschungel, Stadt aus der Vergangenheit, aber auch die Karten in uns können sein, was sie wollen, ziellose Asteroiden, Geschöpfe aus der Zukunft oder die Luxusbar, die jetzt dort steht, wo früher das Toscana war, ein Lokal namens Glō, in dem um diese Zeit, acht Uhr abends, Salsa unterrichtet wird. Unter einem Vordach warte ich zehn oder zwölf Minuten auf Emilia, ohne dass der Regen nachlässt. Endlich erblicke ich sie, ruhig kommt sie vom Parkplatz gegenüber. Sie ist allein. Ich mag sie nicht bedrängen mit der Frage nach ihrem freiwilligen Abtauchen der letzten Tage und warum niemand sie begleitet. Ich bin auf das Unwahrscheinliche vorbereitet – ich weiß, dass Simón gestorben ist, und jetzt habe ich keine Ahnung, was sich zwischen ihnen ereignet haben mag, wenn sich denn etwas ereignet hat. Ich gebe ihr zu verstehen, dass wir uns im Glō nicht unterhalten können, neben der Eingangstür informiert ein bedrohliches Schild, dass die Salsa-Stunde bis um neun dauern wird.
    Dann gehen wir doch ins Starbucks, sagt sie. Die Zeit der Azteken war kreisförmig, ich sehe nicht ein, was sie daran hindern sollte, auch für uns kreisförmig zu sein. Schau um dich, hier gibt es nur Mexikaner.
    Das stimmt: Der Fluss ist nicht mehr da, und über der Straße erhebt sich eine große dunkle Sonne, die fünfte Sonne der Azteken. Es war im Starbucks, wo wir uns am Samstag unseres ersten Treffens unterhielten, bevor wir im Toscana landeten; die Zeit weicht nach und nach zurück, es ist ein langer Kanon wie bei Bach,
Ein musikalisches Opfer,
das in der Zeit und im Ton zurückspringt, ein Uroboros, die Hexenschlange, die sich dauernd in den eigenen Schwanz beißt und sich verjüngt; Schritt für Schritt kehrt die Wirklichkeit an ihre früheren Orte zurück, spielt ihre letzten Akkorde dort, wo sie die ersten gespielt hat, wir gehen durch das Nichts in der Gewissheit, dass es das Nichts ist, und am letzten Punkt dieser Leere erscheint immer das Gesicht Gottes, das Etwas.
    Ich versuche den Teufel:
    Hör mal, Emilia, sage ich. Wie soll Simón wissen, dass wir vom Toscana, vom Glō weggegangen sind? Und dass wir jetzt hier auf ihn warten?
    Er weiß immer, wo er
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