Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio
Autoren: Tomás Eloy Martínez
Vom Netzwerk:
Silbertabletts, die sich in Sekundenschnelle leerten. Caccace trat zu Emilia und plapperte unaufhörlich. Er erklärte ihr, wer wer war, von welchen architektonischen Werken des Zweiten Reichs man sich bei der Ausstattung dieses Saals hatte inspirieren lassen. Auch die Königin musste unter den Handküssen, dem Zigarrengestank, der erbarmungslosen Feuchtigkeit, der nicht nachlassenden Hitze leiden. Sie ging auf eines der Fenster zu und befreite sich von dem Cape, das sie einer der sie begleitenden Zofen reichte.
    Selbst die Aalsgattin schwitzte in Strömen. Mit dem letzten bisschen Atem, belastet vom Gewicht ihrer Beine, trat sie zu Emilia. Meine liebe Emilia, was für ein Wunder, sagte sie. Du hast ein reizendes Kleid. Du musst dich bei deinem Modisten beschweren, dass er dasjenige der Königin kopiert hat. Er ist Franzose, nicht wahr? Ein Argentinier hätte dich besser dastehen lassen. Caccace trat einen Schritt vor, machte Anstalten, ihr die Hand zu küssen, und als er sich vorstellen wollte, trat sie zurück – die Aalsgattin fiel um und konnte sich noch entschuldigen: Verzeihung, was für eine Schande, ich glaube, ich werde gleich ohnmächtig. Emilia gab einem der Kellner ein fast unsichtbares Zeichen, und gemeinsam führten sie sie zu den Sesseln. Caccace trottete ihnen nach, unermüdlich schwatzend und sich Notizen machend. Emilia flüsterte ihrem Vater zu, was geschehen war; eilig rief Dupuy den Arzt des Aals, der keine zehn Sekunden brauchte, um der Gattin verstohlen den Puls zu messen und ihr Wasser zu geben. Er blieb bei ihr, bis sie wieder zu Atem kam. Alles spielte sich derart schnell ab, dass niemand etwas bemerkt zu haben schien und vielleicht auch niemand es erfahren hätte, wenn Caccace nicht so indiskret gewesen wäre, es in der Zeitung des Admirals auszuplaudern. Der Doktor war empört, rief den Chefredakteur an und sagte, er solle sich diesen Klatschschimpansen so schnell wie möglich vom Hals schaffen. Als er das sagte, kostete er die beiden Sch genüsslich aus.
    Das Königspaar blieb noch zwei weitere Stunden auf dem Fest, ohne dass sich etwas Erwähnenswertes ereignete. Nur eine belanglose, unbemerkte Episode war der Beginn eines geheimen Skandals. Eine der Zofen der Königin kam von der Toilette zurück und zupfte sich mit dem Rücken zum Saal Rock und Bluse zurecht. Dabei entblößte sie eine Hüfte. Die Haut war schneeweiß, und über dem Hüftbein hob sich ein verführerisches, allzu sichtbares Muttermal ab. Das junge Mädchen war hübsch und auch kokett. Einer der Leibwächter des Admirals bewunderte sie mit laszivem Ausdruck. Sie drehte sich um und lächelte ihm zu. Das genügte, damit der galauniformierte Wächter sich aufgefordert fühlte. Die Zofe brach in Gelächter aus und stieß ihn mit dem Arm beiseite. Sie ging in den Tumult des Saals zurück, ohne das Unheil zu bemerken, das sich in ihrem Rücken anbahnte. Der Puff brachte den Wächter, der Tomatensaft trank, ins Straucheln. Um zu verhindern, dass die Uniform bekleckert wurde, tat er mit dem noch fast vollen Glas einen Sprung, und der Saft ergoss sich auf Emilias Cape. Es sah aus wie eine Szene der Three Stooges. Der Leibwächter musste ein Offiziersanwärter sein, ein Seekadett, vielleicht überhaupt nur ein Kadett, und seine Ungeschicklichkeit schmetterte ihn nieder. Der Admiral war gnadenlos, und sein Vergehen konnte ihm eine Woche Gefängnis eintragen. Erleichtert stellte er fest, dass niemand etwas bemerkt hatte; ohne es sich zweimal zu überlegen, nahm er das besudelte Cape an sich und steckte es in sein Köfferchen. Er wollte es in die chemische Reinigung geben und dann seiner Besitzerin zurückerstatten, wer immer es sein mochte.
    Emilia bekam kaum noch Luft. Sie ertrug die heuchlerischen Höflichkeitsformeln, den Überdruss zu spüren, dass sie niemand und ihr Platz in dem Nirgendwo war, wo Simón sich befand, nicht länger. Sie vermisste Simón. Sie dachte daran, wie anders ihr Leben gewesen wäre, wenn er nicht gegangen wäre. Gemeinsam wären sie aus den blutdürstigen Ruinen geflohen, zu denen das arme Land wurde. Sobald die Mutter sie nicht mehr brauchte, würde sie sich mit ihren paar ersparten Dollars davonmachen. Noch wusste sie nicht, wohin, aber sie war zuversichtlich, dass Simón sie führen würde. Sie trat zu ihrem Vater und teilte ihm mit, sie könne keine Minute länger bleiben. Ich habe meine Pflicht und Schuldigkeit getan, sagte sie. Ich gehe.
    Komm mir nicht auf den Gedanken, so auf die Straße
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher