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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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rauszugehen, halb nackt, hielt Dupuy sie zurück.
    Am Eingang wimmelt es von Taxis, antwortete sie. Noch bevor der Vater sie am Arm festhalten konnte, ging sie ihr Cape holen. Sie fand es nicht dort, wo sie es deponiert hatte, sondern zwischen anderen Vorhängen, fast zuhinterst im Saal. Sie legte es sich um und trat erleichtert auf die Straße hinaus.
    Der König und seine Gemahlin gingen von einem Grüppchen zum anderen, drückten Hände und nahmen die Verneigungen der Leute entgegen. Die Luft wurde immer dicker und feuchter. Die Damenkleider waren barmherzig, doch die Herren, in gestärkten Hemden und Übergangssmokings, wurden vom Schweiß überwältigt. Selbst der König sah erschöpft aus. Seine Stirn war nass, und er musste sie trocknen. Die Königin gab ihm fast unmerklich ein Zeichen. Er wandte sich an den Aal und sagte: Herzlichen Dank, Präsident. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Argentinien ist ein wundervolles Land. Der Aal applaudierte, und alle taten es ihm gleich. Die Königin suchte ihr Cape und fand es nicht. Sie rief eine der Zofen und hieß sie es ihr bringen. Die Zofe ging in die Garderobe und kam mit leeren Händen zurück. Das ist merkwürdig, ich habe es einer von Ihnen gegeben, beklagte sich die Königin. Ich habe es hierher gelegt, sagte die Zofe. Der ganze Saal geriet in Aufruhr, und das verschwundene Cape verwandelte sich von Erzählung zu Erzählung. Man hat es ihr gestohlen. Ich habe nicht gesehen, dass sie ein Cape trug. Rosa soll es gewesen sein? Wie? Das Cape, mit dem sie gekommen ist, war schwarz. Wer weiß, wo sie es hingelegt hat. Wenn sie es nicht findet, wird das eine Schmach für Argentinien sein, eine Geschichte, die womöglich um die Welt geht. Ich bin sicher, dass eine Subversive es gestohlen hat. Innerhalb von fünf Minuten brodelte es im ganzen Saal. Es wurde in Toiletten, der Küche, den Schränken der Diener, hinter den Vorhängen, unter den Tischdecken gesucht. Keiner wagte zu gehen. Einer der Adjutanten erkundigte sich, ob es den Leibwächtern gestattet sei, die Handtaschen der Damen zu durchsuchen; Dupuy verhinderte es mit strenger Miene. Das ist ein ernsthaftes Land, sagte er. Wir, die wir hier sind, sind alles würdige Menschen. Unter uns gibt es keine Diebe. Das rosa Cape Ihrer Majestät, das rosa Cape! Die Stimmen hallten wider, Zofen und Kellner huschten umher wie verschüchterte Hühner, ohne dass etwas geschah. In Argentinien verschwanden von einem Moment auf den anderen so viele Wirklichkeiten, waren unversehens so viele Menschen ohne Erklärung nicht länger da und existierten nicht mehr, dass man sich nicht wundern durfte, wenn auch das Cape der Königin auf einmal unwirklich wurde, in einer weiteren Vorstellung perverser Magie, die ein alltägliches Spiel im Land war.
    Schließlich wurde es spät, zu spät, die Königin bedeckte sich die Schultern mit dem Schal, den eine der Zofen trug, und den Gästen blieb nichts anderes übrig, als hinter dem Königspaar ebenfalls aufzubrechen. Um zwei Uhr früh blieben nur noch einige der Leibwächter, ein Adjutant und die Pförtner im Saal zurück. Sie wetteiferten im Herumschnüffeln und Befragen der Köche, die die übriggebliebenen Torten und Kanapees abräumten. Irgendwann am frühen Morgen traf der Polizeichef mit einem Bundesrichter ein, der unbedingt Ermittlungen wegen Diebstahls anstellen wollte. Das hätte das Ende des Zwischenfalls bedeutet, wäre nicht einer der Pförtner kurz vor drei Uhr mit den Händen auf der Stirn zu dem Richter getreten. Ein rosa Cape soll es gewesen sein? Ich glaube, das habe ich gesehen. Eine der Damen hat sich früh mit einem solchen Cape zurückgezogen. Vielleicht war es ihres, ich weiß es nicht. Der Mann war verwirrt, blass, bangte um seinen Frieden und vor allem um seine Anstellung. Er beschrieb die Dame, man legte ihm Fotos der Geladenen vor, und in der letzten Serie identifizierte er Emilia. Das ist sie!, rief er. Ich bin mir sicher, dass sie es war. Um halb vier rief der Polizeichef Dupuy an. Er erging sich in Entschuldigungen wegen der Unzeit und sagte, in zehn Minuten werde er ihn in der Calle Arenales aufsuchen. Ist etwas Schlimmes geschehen?, fragte der Doktor. Hoffentlich nicht. Ich baue darauf, dass es sich bloß um eine Verwechslung handelt.
    Als Dupuy ihn empfing, schlief Emilia schon. Der Polizeichef erklärte, was vorgefallen war, und der Doktor war beunruhigt. Meine Tochter hat den Empfang früher verlassen als ich, sagte er. Ich habe sie nicht gesehen. Als
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