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Puppenrache

Puppenrache

Titel: Puppenrache
Autoren: Manuela Martini
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ihre Mundwinkel nach oben, doch ihr Lächeln schien wohl mehr wie eine Grimasse zu wirken, denn jetzt starrte die Kundin sie ungläubig an. Blöde Kuh, dachte Sara und kramte einen Packen Plastiktüten unter der Kasse hervor, um beschäftigt zu sein.
    »Geh doch schon in die Pause«, sagte Lisa, nachdem sie die Kundin abkassiert hatte. »Ist wirklich alles okay?«
    »Jaja«, Sara nickte rasch, »kann ich lieber früher gehen?«
    »Es ist Freitag – aber na gut, zwanzig Minuten.«
    Sara nahm wieder ihren Platz hinter der Kasse ein. Pausen brauchte sie keine. Sie hatte selten Appetit. Oft kam es ihr vor, als hätte sie all die Sachen, die sie im Laufe einer Schicht am Scanner vorbeizog, auch gegessen. Stephen verdarb es die Laune, wenn sie abends mit ihm nichts essen wollte. Deshalb zwang sie sich manchmal zum Essen. Und ging dann rasch aufs Klo. Früher… früher hatte keine Portion für sie groß genug sein können.
    Die nächsten Stunden vergingen ohne Zwischenfälle. Sara nahm die Waren vom Laufband, hielt sie mit dem Barcode an den Scanner, packte sie in die Plastiktüten und kassierte. Sie war gut, jeder Handgriff saß. Das gefiel ihr an der Arbeit: das Automatisierte. Je weniger sie dachte, umso reibungsloser funktionierte sie, umso schneller wurden die Kunden abgefertigt, umso kürzer wurde die Schlange – umso mehr Kunden wählten ihre Kasse – umso mehr Arbeit hatte sie.
    Hal hatte mal gesagt, sie sei wie ein Hamster, der in seinem Laufrad immer schneller wird. Sie hatte müde gelächelt und ihm nicht gesagt, dass der Hamster das tat, weil er vielleicht auch etwas dabei vergessen wollte. Dass er im Käfig eingesperrt war, zum Beispiel. Oder dass er Angst hatte… vor… brutalen Kinderhänden…
    »Vierunddreißig Dollar fünfzig, bitte. – Danke. Schönes Wochenende! – Hallo – Dreizehn Dollar zwanzig, bitte – Danke. Auf Wiedersehen, schönes Wochenende… Hallo…« Ketchup, Milch, Kaugummi, Tiefkühlpizza, Erdbeereis. Sie packte Eis, Pizza und Milch in eine Tüte, den Rest in eine andere. Vorschriftsmäßig. »Das sind dann vierzehn Dollar sechzig.«
    »Du machst’s aber billig, Puppe!«
    Sara erstarrte. Die Geräusche drangen plötzlich wie durch dicke Watte an ihr Ohr. Alles um sie herum verschwamm, versank in einem schmutzigen Grau, nur sein Gesicht war da, sein Gesicht…
    »He, was ist? Was glotzt du so?«
    Irgendwo in ihr legte sich ein Schalter um und stellte ihr den Strom ab.

2
    »Sara?«
    Eine Stimme drang durch dichten Nebel zu ihr. Sie kannte die Stimme. Es war die von Hal. War sie eingeschlafen? Aber wenn es tatsächlich Hals Stimme war, dann musste sie bei der Arbeit sein, im Supermarkt, an der Kasse –
    Puppe…
    Das hatte sie nicht geträumt, oder? Das war real gewesen. Er hat es wirklich gesagt. Sie schlug die Augen auf. Oder nicht?
    Lisas und Hals Gesichter kamen in ihr Blickfeld. Die beiden knieten neben ihr und Hal hatte sich über sie gebeugt. Und sie… sie lag auf den Fliesen, neben ihrem Drehstuhl.
    Sie schüttelte Hals Hand ab, die warm und schwer auf ihrem linken Arm lag.
    »He, ich muss deinen Puls…«, protestierte er.
    »Was ist nur los mit dir? Ist alles in Ordnung?«, fragte Lisa und drängte Hal zur Seite. Ihr schwarzer Pagenkopf war ganz nah.
    »Ja, ist schon wieder okay«, murmelte Sara und versuchte aufzustehen. Ihr Arm knickte ein. Lisa half ihr.
    »Hal, bring ihr ’ne Cola!«
    Hal verschwand. Lisa half ihr auf den Stuhl und dirigierte die Leute an die übrigen Kassen.
    Sara klammerte sich an Lisas Arm und versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Doch plötzlich war sie wieder da, die Angst. Übermächtig nahm sie Saras Körper in Besitz, ohne dass sie etwas dagegen hätte tun können.
    Nein, sie hatte nicht geträumt.
    Puppe…
    Wo war der Typ? Eben war er doch da gewesen, oder? Er hatte direkt vor ihr gestanden. »Wo…?« Hektisch schaute Sara sich um und suchte unter den vielen Gesichtern nach dem einen.
    »Was ist denn passiert, Sara?«, wollte Lisa wissen.
    Wie sollte sie Lisa das nur erklären? Sie hob ihre Hand und wischte den kalten Schweiß ab, der sich wie ein klebriger Film auf ihrer Stirn gebildet hatte. »Ich weiß nicht, ich hab niedrigen Blutdruck…«
    Hal kehrte mit der Cola zurück.
    »Trink! Zucker und Koffein tun gut«, sagte Lisa und drehte den Verschluss auf.
    Dankbar griff Sara nach der Flasche und trank. Wieder ließ sie ihren Blick über die Gesichter der umstehenden Kunden schweifen. Erschrocken stellte sie fest, dass die
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