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Puppenrache

Puppenrache

Titel: Puppenrache
Autoren: Manuela Martini
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schwarze Hosen und T-Shirts. Nur das verspiegelte Regal mit den Getränken leuchtete hellgrün. Die Musik dröhnte ohrenbetäubend aus den Boxentürmen und die Gläser auf den Tischen vibrierten mit den Frequenzen der Bässe. Sara war froh über die Lautstärke, weil sie dann nicht viel reden musste. Früher hatte ihre Mutter immer gesagt, sie rede wie ein Wasserfall.
    Stephen und seine Freunde schrien gegen den Lärm an und bestellten eine Bierrunde nach der anderen. Sara lehnte jedes Mal ab und bestand auf Cola. Cola hielt sie wach. Und wachsam.
    Irgendwann schmiegte sie sich an Stephens Schulter und er legte den Arm um sie. »Du bist schön«, sagte er ihr ins Ohr und lächelte sie an. »Wir könnten uns bald hier verdrücken, hm?«
    Sie spürte die bekannte Panik in sich aufsteigen. Immer wieder kämpfte sie dagegen an. Immer wieder…
    »Ja, aber es ist doch gerade ganz nett und deine Freunde…«, sagte sie rasch.
    »Ach, die können auch ohne uns weitertrinken.«
    »Lass uns noch ein bisschen bleiben. Mir gefällt’s heute, wirklich.«
    Er streichelte ihre Wange. »Klar. Ich freu mich, dass du auch mal gern unter Menschen bist.«
    Sie lächelte und schmiegte sich enger an ihn. Er würde immer auf sie aufpassen. Er würde sie beschützen.
    »Ich hol uns ’ne neue Runde«, sagte Stephen und machte sich von ihr los.
    Bleib da, wollte sie ihm am liebsten sagen, aber das war albern, das wusste sie. Van und Dean hatten schon je zwei Runden geschmissen, Stephen war längst dran. Stephen tauchte in der Menge unter. Sie lehnte sich an die Säule, schloss die Augen und überließ sich für einen Moment der Musik, dem Dröhnen, Stampfen und dem Schreien der Sänger. Die Bässe aus den riesigen Boxen wummerten in ihrem Bauch, breiteten sich von da überall in ihrem Körper aus, bis auch ihr Herz den Rhythmus übernahm. Sie wurde zur Musik, zum Rhythmus, sie löste sich auf, wurde leichter und leichter und mit jedem Beat fühlte sie sich befreiter – und weniger da. Alles verlor seine Dringlichkeit, seine Bedrohlichkeit…
    »He, Puppe, hab ich dich doch gefunden!«
    Die Stimme riss sie mit einem harten Ruck zurück in die Realität, die Beats wurden zu Peitschenhieben, die Luft legte sich wie ein Netz über sie, drohte enger und enger zu werden, sie wollte die Augen aufreißen, aber die Panik lähmte sie. Diese Stimme!
    Unter ihr gab der Boden nach – oder waren es ihre Knie?, sie wollte sich festhalten, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht, sie wollte…
    »He, Sara!«
    Stephen? Jetzt riss sie die Augen auf.
    Stephen sah sie an, Gläser in seinen Händen, und hinter ihm wurde das Gesicht von der Menge verschluckt.
    Es war nicht das aus dem Supermarkt.
    Nein.
    Diesmal war es das echte.
    »Geht’s dir gut?«, fragte Stephen besorgt und gab ihr die Cola.
    Als sie die Hand ausstreckte, um die Flasche zu nehmen, zitterte sie.
    »Sie hat geglaubt, du kommst nicht mehr, stimmt’s?«, schrie Van grinsend herüber und saugte den Schaum von seinem Bier ab.
    »Unser Stevie war ganz schön unterwegs, bevor er dich getroffen hat«, schrie Dean und nahm von Stephen sein neues Bier entgegen.
    »Du solltest ihn beim Surfen nicht so oft allein lassen.«
    Dann sagte Dean wieder etwas und Van lachte, Stephen ließ seinen Freunden gegenüber gespielt coole Kommentare ab und Sara war, als betrachte sie einen Film ohne Ton, während um sie herum die Wohnung brannte. Sie registrierte das alles zwar, aber nichts konnte zu ihr durchdringen.
    Am liebsten wäre sie weggerannt, raus aus der dunklen, lärmenden Bar, in der es scharf nach Schweiß und sauer nach Bier roch – und wo etwas Bedrohliches lauerte. Aber wohin hätte sie laufen sollen?
    »Glaub ihnen nichts!«, hörte sie Stephen sagen, »sie sind bloß eifersüchtig, weil ich nicht mehr so oft mit ihnen unterwegs bin!«
    Van und Dean protestierten grölend. Sie musste weg, sie hielt es nicht mehr aus – da beugte sich Stephen zu ihr und küsste sie… holte sie zurück. Die Starre, die ihren Körper so steif und gefühllos gemacht hatte, löste sich, ihre Muskeln entspannten sich. Sara schloss die Augen und fühlte nur noch diesen Kuss. Wenn es nur immer so sein könnte wie in diesem Moment.…
    Stephen war so nett zu ihr. Vielleicht liebte er sie wirklich? Sie, die man doch gar nicht lieben konnte. Aber er war arglos – und ahnungslos. Es war so schrecklich.
    Sie war eine Verräterin und Lügnerin.
    Sara stürzte die Cola in einem Zug hinunter, um wieder klar denken zu können.
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