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Puppenrache

Puppenrache

Titel: Puppenrache
Autoren: Manuela Martini
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alle so fröhlich vor. Sie plauderten, lachten, telefonierten, verabredeten sich für den Abend. Für ein Treffen im Pub oder zum Essen oder… zum Tanzen…
    Etwas in ihrem Innern tat weh. Etwas, tief in ihr, das auch so sein wollte wie diese Menschen, so… fröhlich… so normal.
    Im Bus suchte sie sich einen Fensterplatz. Die Sonne stand schon tief und versah alles, Gegenstände und Menschen, mit langen dunklen Schatten. Früher war ihr nie aufgefallen, dass die Schatten größer sein konnten als man selbst.
    Sara zählte die Autos, zählte die roten und die weißen, die Lieferwagen und die Motorräder, stellte fest, dass auf einer Fahrspur fünf silberfarbene Wagen hintereinanderfuhren, und zählte dann die Sekunden, die die Ampel brauchte, um von Grün auf Rot zu schalten. Sie tat all das, was sie sonst auch tat, nur konzentrierter. Sie wollte unbedingt vergessen, was heute passiert war.
    Kurz vor der Wohnung, sie ging gerade die letzten zweihundert Meter zu Fuß, klingelte ihr Handy.
    »Wo bleibst du denn? Du wolltest doch kommen.« Stephen. Im Hintergrund hörte sie Lachen. Seine Freunde. Sie sah sie am Strand, in ihren Neoprenanzügen, auf ihre Boards gestützt.
    »Ich bin an der Kasse umgekippt.« In dem Moment, in dem sie den Satz ausgesprochen hatte, bereute sie ihn auch schon. Sie konnte Stephen nicht erklären, was passiert war. Vielleicht hätte sie es gar nicht erwähnen, sondern sich irgendeine Ausrede überlegen sollen, dachte sie, aber nun war es zu spät.
    »Aber… was ist denn passiert?«, fragte er besorgt.
    »Ich weiß auch nicht.« Sie war im Schutz einer Hauswand stehen geblieben. »Jedenfalls nichts Schlimmes.«
    »Ich komme heim«, sagte er entschieden.
    »Nein! Nein, bleib nur. Ich… ich leg mich ein bisschen hin.«
    Sie wollte nicht, dass er ihretwegen aufs Surfen verzichtete, obwohl… ja, obwohl sie sich gern neben ihn gelegt, ihren Kopf in seine Armkuhle und ihre Hand auf seine Brust gelegt hätte.
    »Soll ich nicht doch lieber kommen?«, fragte er noch mal.
    »Nein. Bleib ruhig, wirklich. Es ist alles okay«, versicherte sie ihm eilig.
    Wie gern hätte sie ihm alles erzählt…
    Niedergeschlagen stieß sie die Haustür des Apartmenthauses auf, drückte den Lichtschalter. Flackernd sprangen die Neonröhren an und machten das enge Treppenhaus grell und schattenfrei. Sie ging am Aufzug vorbei, obwohl er bereitstand. Sie nahm nur ganz selten den Aufzug. Wenn Stephen dabei war oder wenn sie schwere Tüten zu schleppen hatte. Sie hielt dann immer die Luft an, wenn der Lift noch im ersten, zweiten und dritten Stock haltmachte und sie nicht wusste, wer gleich die Tür aufmachen würde.
    Im vierten Stock angekommen, steuerte sie auf die dritte der insgesamt fünf Türen zu, schloss beide Schlösser auf, warf dann die Tür hinter sich zu und schloss sofort wieder ab.
    Sie zog sich aus, stellte sich unter die Dusche und spülte den Tag ab – das jedenfalls stellte sie sich vor, während das heiß dampfende Wasser über ihre verspannten Muskeln lief. Anschließend zog sie ihren Schlafanzug an, ging in die Küche, goss sich ein Glas Milch ein, legte sich auf die Couch und machte den Fernseher an. Aber es kamen bloß Krimis und irgendwelche blöden Ratespiele. Sie ließ schließlich eine Rateshow eingeschaltet, ohne jedoch zuzuhören. Aber dadurch war es wenigstens nicht so einsam in der Wohnung. Von draußen drang das Brummen des Verkehrs herauf, der weiter über die Harbour Bridge in die nächsten Vororte und auf die Autobahn in den Süden floss. Oft wurde sie morgens vom Dröhnen der schweren Lkws geweckt. Und manchmal konnte sie deswegen auch nicht einschlafen. Dann war sie wieder in jener Nacht hinter den Felsen, kroch durch dorniges Gestrüpp, immer diesem Dröhnen entgegen, immer in Richtung der so nah scheinenden und doch unendlich weit entfernten Straße, ihre Hände waren schon ganz aufgeschürft…
    Abrupt stand sie auf und ging in die Küche. Unterbrich die Gedanken, wenn sie kommen, hatten sie gesagt. Sie dürfen gar nicht erst die Kontrolle über dich übernehmen. Und sie versuchte es. Aus dem Schrank nahm sie eine Rolle Schokokekse, legte sich wieder auf die Couch und breitete eine Decke über sich. Und wenn es morgen wieder passiert? Wenn derselbe Typ wieder kommt… oder ein anderer?
    Warum hatte sie sich ausgerechnet einen Job gesucht, bei dem sie so vielen Menschen begegnete?
    Sie drehte den Ton lauter. Der höchste Berg in Australien?
    »Mount Kosciuszko!«, sagte der
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