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Pünktchen und Anton

Pünktchen und Anton

Titel: Pünktchen und Anton
Autoren: Erich Kästner
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hängte ihr das Cape um, stampfte wütend mit dem Fuß auf, als sie sich vor den Spiegel stellte und ihr silbernes Hütchen hin und her rückte. Dann zog er sie aus dem Haus. Herr Hollack, der Schofför, war natürlich nicht da. Er sollte sie ja erst zum Schluß der Vorstellung mit dem Wagen abholen. Herr Pogge ließ die Hand seiner Frau nicht los. Er stolperte mit ihr durch die Pfützen über die Straße. Am liebsten hätte sie geheult. An der Ecke standen Autodroschken. Er stieß sie in die erste hinein, nannte dem Schofför eine Adresse und kletterte der Frau nach. Dann setzte er sich auf ihr seidenes Cape. Aber sie wagte nicht, es ihm zu sagen.
    Das Auto fuhr sehr schnell. Er hockte neben ihr, machte ein abwesendes Gesicht und scharrte nervös mit den Füßen.
    »Meine silbernen Schuhe sind hin«, murmelte sie.
    »Ich habe die Überschuhe in der Garderobe vergessen.«
    Er antwortete nichts und stierte geradeaus. Wie kam die Person dazu, nachts, in Lumpen gehüllt und angeblich blind, mit seinem Kind betteln zu gehen?
    War dieses Fräulein Andacht denn vollständig übergeschnappt? »Dieses Aas!« sagte er.
    »Wer?« fragte seine Frau.
    Er schwieg.
    »Was soll denn das alles bedeuten?« fragte die Frau. »Ich sitze im Theater, du schleppst mich in den Regen hinaus. Die Aufführung war erstklassig. Und die teuren Eintrittskarten!«
    »Ruhe!« entgegnete er und blickte durch die Scheiben. An der Komischen Oper stand das Auto still.
    Sie stiegen aus. Frau Pogge musterte verzweifelt ihre durchweichten Schuhe. Nein, daß sie die Überschuhe in der Garderobe hatte stehenlassen! Fräulein Andacht mußte sie gleich morgen früh holen.
    »Da!« flüsterte ihr Mann und zeigte nach der Weidendammer Brücke hinüber.
    Sie sah Autos, Radfahrer, einen Schupo, eine Bettlerin mit einem Kind, einen Zeitungsverkäufer mit einem Schirm, der Fünfer-Autobus kam vorüber. Sie zuckte die Achseln.
    Er faßte ihren Arm und führte sie vorsichtig der Brücke entgegen. »Gib auf die Bettlerin und das Kind acht«, flüsterte er befehlend. Sie beobachtete, 1wie das kleine Mädchen Knickse machte, Streichhölzer hochhielt und von Passanten Geld bekam. Plötzlich erschrak sie, sah ihren Mann an und sagte: »Pünktchen?«
    Sie kamen noch näher. »Pünktchen!« flüsterte Frau Pogge und verstand nicht, was sie mit ihren eigenen Augen sah.
    »Mutter ist total erblindet und noch so jung. Drei Schachteln fünfundzwanzig, Gott segne Sie, liebe Dame«, sagte das Kind gerade.
    Es war Pünktchen! Da lief Frau Pogge auf das im Regen frierende und knicksende Kind zu, kniete trotz der verregneten, schmutzigen Straße vor der Kleinen nieder und schloß sie in die Arme. »Mein Kind!«
    schrie sie außer sich.
    Pünktchen war zu Tode erschrocken. So ein Pech zu haben. Das Kleid der Mutter sah skandalös aus.
    Die Passanten blieben stehen und dachten, es würde ein Film gedreht. Direktor Pogge riß der blinden Frau die Brille von den Augen.
    »Fräulein Andacht!« rief Frau Pogge entsetzt.
    Die Andacht war blaß wie der Tod, hielt schützend die Hände vors Gesicht und wußte sich keinen Rat.
    Ein Schutzmann tauchte auf.
    »Herr Wachtmeister!« rief Herr Pogge. »Verhaften Sie diese Person hier! Es ist unser Kinderfräulein, sie geht, wenn wir nicht zu Hause sind, mit unserm Kind betteln!« Der Schutzmann zog das Notizbuch.

    »Mein Kind!« schrie Frau Pogge außer sich  

    Der Zeitungsverkäufer mit dem Regenschirm lachte.
    »Nicht einsperren!« rief Fräulein Andacht. »Nicht einsperren!« Mit einem Sprung durchbrach sie den Kreis der Menschen und rannte gehetzt davon.
    Herr Pogge wollte ihr nach. Aber die Leute hielten ihn fest.
    »Lassen Sie das Mädchen laufen!« sagte ein alter Mann.
    Frau Pogge war aufgestanden und putzte mit einem kleinen Spitzentuch ihr seidenes Kleid ab, es war furchtbar dreckig.
    Da tauchte Anton von der anderen Straßenseite her auf und legte Pünktchen die Hand auf die Schulter.
    »Was ist denn hier los?« fragte er.
    »Meine Eltern haben mich erwischt«, sagte Pünktchen leise, »und die Andacht ist eben durchgebrannt.
    Das kann gut werden.«
    »Wollen sie dir was tun?« fragte er besorgt.
    »Das ist noch nicht 'raus«, meinte Pünktchen achselzuckend.
    »Soll ich dir helfen?« fragte er.
    »Ach ja«, sagte sie. »Bleibe hier, das beruhigt mich.«
    Herr Pogge sprach mit dem Schutzmann. Seine Frau putzte noch immer an dem teuren Kleid herum.
    Die Leute, die dabeigestanden hatten, gingen wieder ihrer Wege. Da blickte Frau Pogge
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